Nach dem Tod

"Bewusstseinserfahrungen im Umkreis des Todes" - Sterbebettvisionen

(entstanden aus einem Vortrag)

 

von Maritta Sallinger-Nolte

 

Die Beschäftigung mit Sterben und Tod durchzieht mein persönliches Leben seit frühester Kindheit. Als examinierte Krankenschwester habe ich mich schon sehr früh der Hospizbewegung angeschlossen, da ich das Sterben in den Krankenhäusern als extrem unwürdig und Angst auslösend empfand!

Die Ärzte haben den Tod als absoluten Feind behandelt! Mit allen erdenklichen, oft sehr qualvollen medizinischen Verrichtungen wurde das Leben noch um Tage oder gar Wochen verlängert, oft ohne jeglichen "Gewinn" für den Patienten. Grauenvolle Bilder von sterbenden Menschen und ihren geschockten Angehörigen trage ich bis heute noch im Herzen. Ich ließ mich zur ehrenamtliche Hospizbegleiterin ausbilden, und nachdem unsere drei Kinder groß genug waren, bin ich in meinen jetzigen Beruf als Hospiz- und Palliativ-Krankenschwester seit über 11 Jahren tätig. Meine mittlerweile tausendfachen Erfahrungen im Umgang mit den sterbenden Menschen haben mich zu einem vertieften Hinblicken im Prozess des Sterbens geführt.

Mein Hauptaugenmerk richtete sich in den letzten Jahren auf den spirituellen Prozess im Sterben. Den Übergang an der Schwelle vom Leben hin zum Tod.
Es beschäftigen mich folgende Fragen:

  • "Wer oder was stirbt eigentlich?"
  • "Was geschieht in uns, während wir sterben?"
  • "Ist Sterben mehr als nur ein körperliches Geschehen? Wenn ja - was ist es noch?"
  • "Gibt es eine andere Form des DASEINS?"

Auf diese meine Fragen habe ich nach wie vor keine abschließenden Antworten, doch ist es spannend, faszinierend und aufschlussreich, mit ihnen in einen inneren Kontakt zu kommen und sich damit auseinanderzusetzen!

Sterbebettvisionen oder VOR-TODESVISIONEN sind außergewöhnliche / außersinnliche Wahrnehmungen, die in der Begleitung von Sterbenden in Todesnähe, oft auch schon Tage zuvor, beobachtet und wahrgenommen und beschrieben werden.

Seit Tausenden von Jahren gibt es dazu Überlieferungen in den alten, schon längst vergilbten medizinischen Büchern, ebenso Berichte aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen. Jedoch finden diese Berichte in der heutigen "modernen hochtechnisierten" Medizin nur wenig bis gar keine Beachtung!

Warum dies so ist, darüber kann man spekulieren!

Meine täglichen Erfahrungen mit schwerstkranken, sterbenden Menschen sind oft so bewegend, berührend und überwältigend, dass ich es mittlerweile auch als Aufgabe betrachte, auf diese Seite im Sterbeprozess aufmerksam zu machen!

In der Hospiz- und palliativen Versorgung sprechen wir stets über die vier Bedürfnis-Säulen - welche gleichberechtigt unter einem Dach stehen -, derer es bedarf, um die Menschen am Ende ihres Lebens rundum gut zu betreuen:

  • die medizinische
  • die pflegerische
  • die psychosoziale
  • sowie die spirituelle

Ein schwerstkranker, sterbender Mensch benötigt meistens von allen vier Säulen unterschiedlich viel!

Unter dem spirituellen Bedürfnis von kranken Menschen kann sich vieles summieren, z.B. seine Religiosität, sein persönliches Verständnis von Leid und Sinnhaftigkeit, aber auch der Prozess des Sterbens kann sich als ein höchst spirituelles Ereignis zeigen. Darüber möchte ich hier berichten.

Persönlich ist es mir ein Herzensanliegen geworden, mein Augenmerk auf das innere Erleben eines sterbenden Menschen am Schwellenübergang zu richten. Dies scheint ein höchst spirituelles Geschehen zu sein.

Wie komme ich dazu?

Im Jahre 2002 verstarb meine geliebte Mutter im Alter von 70 Jahren. Ich begleitete sie sehr intensiv und wich in den Wochen vor ihrem Tod nicht mehr von ihrer Seite. Ihre tiefgreifenden Erfahrungen, die sie an der Grenze hin zum Tod erlebt hatte, waren für mich ausschlaggebend, mich mit dem Thema "Bewusstseinsveränderungen in Todesnähe" intensiver zu beschäftigen.

(Vielleicht war es auch ein "Weckruf" der Seele meiner Mutter an mich! Um vielleicht zu einem anderen Verständnis von menschlichem Bewusstsein zu kommen? Wer weiß das schon?)

In verkürzter Form mein ganz persönliches Erfahrungshintergrund:

Mit 69 Jahren aus dem noch vollen aktiven Leben heraus bekam meine Mutter die Diagnose einer schweren Krankheit, die innerhalb kurzer Zeit zum Tode führen sollte, da sie schon weiter fortgeschritten war! Ich habe das Sterbejahr meiner Mutter hautnah miterleben dürfen und konnte sie in dieser Zeit eng begleiten. Es ist und bleibt für mich ein Lebensgeschenk, mit dem mich meine Mutter durch ihr hingebungsvolles Vertrauen in der Zeit des Sterbens letztendlich für mein eigenes weiteres Leben sehr reich beschenkt hat!

In dieser schweren Zeit schrieb ich Tagebuch. Zum einen, um mir vieles, was mich bewegte, von der Seele zu schreiben, zum anderen half es mir durch das Festhalten von Daten, Fakten und den vielen Gesprächen, die wir im Verlauf der 10-monatigen Erkrankung miteinander führten, mich mit meiner Trauer und der Trauer und dem Abschiedsschmerz meiner Mutter auseinanderzusetzen.

Ich habe alles, was sie in der Nähe hin zum Tode erfahren durfte, aufnotiert, so dass ich mir im nachhinein nicht selbst einsuggerierte, dass ich mir das nur schön zusammen reime! Dies scheint mir wichtig zu betonen.

Meine Mutter durchlief in diesem "letzten Jahr ihres Lebens" wie alle Menschen, die eine unheilbare Diagnose erhalten, alle möglichen uns bekannten Gefühle:

  • von Hoffnung bis tiefste Verzweiflung
  • Zuversicht bis Depression
  • Zorn, Wut, Aggression
  • Verbitterung, Anklage
  • Ablehnung bis hin zur Annahme zum "JA"

Nun, wer sterbende Menschen begleitet, weiß um dieses wiederkehrende Gefühlskarussell!

Die Gedanken, sie könnte mir, uns (meiner Familie) zur Last fallen, quälten sie - bis hin zu suizidale Äußerungen, welche ihre tiefe Verzweiflung erkennen ließen! Ihre Angst vor dem qualvollen Tod war und ist nicht zu beschreiben! Sie fand auch keinen Trost im Glauben!

In einem Traum erschien ihr mein längst verstorbener Vater, sie sah ihn ganz deutlich und klar vor sich und er rief sie zu sich, "Komm, hab keine Angst!", darüber war sie zuerst sehr erschrocken, weil sie ihn so leibhaftig und total lebendig gesehen hatte und gleichzeitig verstand sie: "Oh, er will mich zu sich holen". Dies machte ihr zuerst Angst, denn sie wollte nicht sterben!

Dennoch fand nach diesem Traum eine für mich wahrnehmbare innere Wandlung in meiner Mutter statt, die Erscheinung meines Vaters beschäftigte sie sehr. Öfter sprach sie jetzt mit mir über das Sterben, auch wenn sie weiter in einer heftigen Auseinandersetzung mit "Gott" haderte.

Wie oft sagte sie: "Ich habe doch niemandem etwas Böses getan, warum werde ich so von Gott bestraft?" oder "Warum lässt mich Gott so leiden, womit habe ich das verdient?"

Da fragte ich sie einmal, ob sie denn hin und wieder Zwiesprache mit diesem Gott halte? Das tat sie aber eher anklagend! Jedoch viel interessanter war für sie die Begegnung mit einem Engel.

Ein etwas "kitschiges Engel-Bild" aus den Kindertagen meiner Mutter (ein Engel führt ein Kind mit weit ausgebreiteten Armen über eine Brücke, darunter befindet sich ein tiefer Abgrund) hing in dem Zimmer, in welches wir unserer Mutter ein Pflegebett stellten. Ich hatte dieses Bild vor vielen Jahren aus meinem Elternhaus zum Erstaunen meiner Familie (Was willst du denn mit so einem kitschigen Bild) mit nach Wiesbaden genommen! Es war ein Bild von der Mutter meiner Mutter, und jetzt hing es genau in dem Raum, wo sie sterben sollte! (Zufall oder Fügung?)

Was geschah?

In den letzten Wochen ihrer Erkrankung lag sie viel im Bett, und immer wieder berichtete sie mir, dass ihr der direkte Blick auf dieses Bild so viel Ruhe und Zuversicht vermittle! Sie spreche hin und wieder mit diesem Engel, das täte ihr so gut, sie merke, wie die Ängste weniger werden!

So ca. zwei Wochen vor ihrem Tod erzählte sie mir, dass ein Engel mit ihr Kontakt aufgenommen habe, mit ihr spreche und sie wisse nun, dass ihre Tage hier auf Erden gezählt seien. Der Engel habe zu ihr gesagt, "es sei noch nicht soweit, sie solle sich aber bereithalten, es sei für alles gesorgt".
Sie war ganz ruhig, die ganze Anspannung der vergangenen Monate schien sich aufzulösen. Auch meiner Schwester hat sie immer wieder von der Engelbegegnung berichtet und von dem Trost, den sie dadurch empfand!

Eine Woche vor ihrem Tod half ich meiner Mutter aus dem Bett und setzte sie an den Frühstückstisch, essen konnte sie aufgrund des großen Tumors nichts mehr, aber trinken. Während wir so zusammen saßen, fragte sie mich, ob ich heute Nacht auch das helle leuchtende Gold gesehen hätte, überall wären Goldfäden um sie herum gewesen, das Licht so hell, so überirdisch schön, wie sie es noch nie gesehen habe!

Ich entgegnete ihr, dass ich das nicht gesehen habe, ich aber vermute, dass sie mit ihrer Seele vielleicht schon in der "anderen" Welt war.

Eine Nacht später fragte sie mich erneut am Frühstückstisch: "Hast Du heute Nacht auch den wunderbaren Gesang gehört, es war als würden Engel singen, es war eine himmlische überirdisch schöne Musik!" Wieder entgegnete ich, dass ich das nicht gehört habe und ich annehme, dass sie wohl wieder einen Einblick in die "andere" Welt bekommen durfte; das ängstigte sie nicht, sie war, wie mir schien, voll im Frieden.

Die Kräfte schwanden, nur noch mit Mühe konnte sie aus dem Bett, sie zog sich mehr und mehr nach innen zurück. Oft saß ich bei ihr am Bett, sie schlief nun viel, und es war offensichtlich, dass Mama ihre letzten Tage auf Erden zu leben hatte.

Während ich so bei ihr saß und ihren Schlaf beobachtete, konnte ich immer wieder mehrere Male zu unterschiedlichen Zeiten feststellen, wie sie so vor sich hinlächelte - so wie ich es von unseren Kindern kannte, als sie gerade frisch geboren waren, in der ganz frühen Säuglingszeit. Ich nannte dies immer "das himmlische Lächeln", es war wie aus einer anderen Welt! Genauso erlebte ich es bei Mama, es war so beruhigend auch für mich, es ging so viel Seelenfrieden davon aus!

Am vorletzten Abend vor ihrem Tode saß ich tagsüber wieder bei ihr, wissend, dass ihre Lebenszeit nun zu Ende ging. Wieder dieses Lächeln, dieser tiefe Ausdruck von Frieden. Nachdem sie wach wurde, konnte ich es mir nicht verkneifen zu fragen: "Mama, wenn ich so bei dir sitze und deinen Schlaf 'bewache', erlebe ich so ein wunderbares himmlisches Lächeln, ich habe das Gefühl, dass es Dir dann richtig gut geht." Sie antwortete: "Ja, Maritta, da wo ich jetzt öfter bin, ist alles gut, es gibt ganz viel Wasser für meinen Durst! Ich habe keine Angst mehr."

Am nächsten Abend verstarb unsere geliebte Mutter im Beisein von mir und meinem Mann. Ich hielt sie in diesen letzten Minuten im Arm und ihre letzten Worte waren: "Hilf mir." Ich hielt sie fest umschlungen und ermutigte sie, jetzt dem Engel zu folgen, Vertrauen zu haben - im Weitergehen, es sei alles besprochen alles sei gut! Daraufhin schloss sie für immer die Augen!

Ich war und bin so dankbar, dass ich die "Hebamme" sein durfte, die ihrer eigenen Mutter in diesem Geburtsprozess zur Seite stand.

Das Sterben meiner Mutter hat meinen tiefsten Seelenraum berührt, mich aufgeweckt und sensibilisiert für die übersinnlichen Phänomene und die innerseelischen Wahrnehmungen in diesem heiligen Geschehen!

Seither beschäftigt mich die Frage: "Ist der Tod eine Art Schnittstelle zu etwas ganz Neuem?"

 

"Sterbebettvisionen" - Erfahrungen und Beobachtungen aus unserem beruflichen Alltag

Hier werde ich ausführlich über meine Wahrnehmungen und die von Kollegen und Kolleginnen am Sterbebett berichten. Ich will damit aufzeigen, dass Menschen unterschiedlicher Berufsgruppen ebenso Erfahrungen von übersinnlichen Erscheinungen bei ihren Patienten machen.

Meine Gesprächspartner/innen waren:

  • ein Psychologe einer Palliativstation
  • eine langjährige mir sehr vertraute Kollegin
  • eine Krankenschwester vom stationären Hospiz und die Seelsorgerin vom stationären Hospiz
  • eine ehrenamtlichen Hospizbegleiterin
  • eine Freundin, die bei beiden Eltern eine Sterbebettvision erleben durfte

Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle nochmals aufs Herzlichste danken, alle sind sie mit der Veröffentlichung einverstanden und haben meine aufgezeichneten Berichte gegengelesen!

Den Erfahrungsberichten möchte ich kurz einige mir wichtige Gedanken voranstellen.
Sterben bedeutet einem inneren Wandlungsprozess "ausgeliefert" zu sein, welcher nicht mehr willentlich gesteuert werden kann:

  • Zeit und Raum können sich komplett verschieben,
  • Die räumliche Begrenzung hebt sich auf oder engt ein!

Immer wieder höre ich von Patienten, die schon weit im Sterbeprozess fortgeschritten sind, Sätze wie: "Ich will hier raus! Es ist so eng hier"! Sie versuchen ihre Kleidung auszuziehen, sie befinden sich in einer großen inneren Unruhe, wollen mit letzter Kraft nochmals das Bett verlassen!

Viele Sterbende äußern auch den Satz: "Ich will nach Hause", auch wenn sie zu Hause in ihrem gewohnten Umfeld betreut werden! "Ich will nach Hause", "Lass mich endlich nach Hause", da nutzt es wenig, wenn die Angehörigen oder wir Begleiter beruhigen und sagen: "Aber du bist doch zu Hause". Ich bin davon überzeugt, dass der Sterbende seine geistige Heimat meint.

Neulich in der Nacht sagte ein Sterbender, welcher seit Tagen nicht mehr auf äußere Worte reagierte - plötzlich und unvermittelt: "Es gibt kein Morgen mehr! Ich steige jetzt aus"! Dies wiederholte er einige Male, wie ein Mantra. Ich entgegnete ihm: "Herr M., sie dürfen jetzt aussteigen, sie müssen nicht mehr bleiben, lassen sie es geschehen." - In den frühen Morgenstunden verstarb er im Beisein seines Sohnes und seiner Frau.

Das Sterben führt zu einem langsam voranschreitenden Verlustprozess, VERLUST von all dem, was wir glaubten zu sein:

  • von der "Rolle", die wir in unserem Leben gespielt haben
  • der Identifikation mit unserem sozialen Status
  • den angehäuften materiellen Gütern
  • der Identifikation mit unserer Arbeit
  • unserem Selbstbild
  • Verlust unserer ICH-Anhaftung

Wenn all das zerbröckelt und wegfällt - was bleibt dann noch?

Der sterbende Mensch muss aufs Schmerzlichste erkennen, dass sein Alltags-Ich keine Kraft und Autorität mehr besitzt; in dieser Zeit kommt es sehr oft

  • zu großer innerer Unruhe,
  • zu Angst und Panikattacken,
  • Schweißausbrüchen, zu inneren Kämpfen,

da die persönlichen Kontrollschranken immer mehr ihren Dienst versagen!

Im Sterben werden wir gezwungen unsere sonst so standhafte ICH-Persönlichkeit Schicht für Schicht abzulegen, dadurch wird der Zugang zum eigentlichen, zum wahren in uns allen wohnenden Bewusstsein offen und frei.

Der auf seinen Tod zugehende Patient erlebt nun ganz andere Seinszustände! Hier an der Schwelle kommt es zu einer "Wanderung" zwischen dem "DORT" und dem "HIER", und in dieser Übergangszeit können wir "außersinnliche" Wahrnehmungen haben, auch Sterbebettvisionen genannt.

In den schon oben erwähnten Gesprächen mit Kollegen/innen haben wir folgende Phänomene immer wieder beobachtet und wahrgenommen:

  • das Sehen Verstorbener - dem Sterbenden meist vertraute Menschen
  • sie reden mit für uns unsichtbaren Gestalten, die sich im Zimmer befinden
  • sie hören wunderbare überirdische Klänge
  • sprechen von und mit Lichtgestaltenwesen
  • berichten von strahlendem hellen Licht
  • berichten von wunderschönen Landschaften
  • Im nonverbalen Bereich erleben wir bei Sterbenden u.a. auch, dass ihre Augen in eine bestimmte Richtung nach oben schauen! Ein friedvolles, entspanntes, in die Ferne gerichtetes Schauen und Staunen ist zu beobachten - wohin schauen sie? Was nehmen sie wahr? Viele bewegen sich mit ihren Händen und Armen auf ein imaginäres Ziel hin!
  • Ebenso im nonverbalen Bereich beobachten wir über Mimik und Gestik der Sterbenden, dass sie sich zwischenzeitlich in der anderen Dimension befinden und dass sie manches Mal noch etwas Entscheidendes benötigen, um den Schwellenübergang zu bewältigen.

Diese Erscheinungen am Ende des Lebens sind unterschiedlich und facettenreich wie das Leben des Menschen: individuell und einzigartig!

Es ist mir wichtig zu betonen, dass wir längst nicht bei allen Patienten "Sterbevisionen" wahrnehmen. Viele Menschen sterben ohne für uns Begleiter/innen äußerlich erfahrbare Hinweise! Der individuelle innerseelische Prozess bleibt verborgen!

Erfahrungsbericht aus einer Seniorenresidenz:

Eine 85-jährige Bewohnerin, sehr krank, müde und schwach, seit Wochen im Bett liegend, kommunizierte schon lange nicht mehr mit der Außenwelt. Einige Male wähnten wir - die Pflegenden und ich - die Patientin sterbend! In den letzten 3 Lebenstagen saß ich dann öfter gemeinsam mit der Tochter am Bett der Patientin.

Plötzlich öffnete sie die Augen - welche sonst fest geschlossen waren - und sagte klar und verständlich: "Ach Mutter", und zu unserem weiteren Erstaunen streckte sie eine Hand aus.

Die Tochter lächelte milde und sagte: "Mama, deine Mutter ist schon so lange tot, du phantasierst".

Ich fragte die Bewohnerin: "Frau B., ist ihre Mutter gerade bei Ihnen?" "Ja, hier ist sie", wieder ging eine Hand in die Luft, es gab keine weiteren Worte und Sätze mehr. Bis zum Eintritt ihres Todes wiederholte sich das Schauen! Die Mutter schien nahe bei ihr zu sein.

In meinen persönlichen Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, dass dieser hochbetagten Patientin der Austritt aus dem Leben so schwer fiel, da ein sehr starkes Band zwischen ihr und der Tochter webte, so dass sie in den letzten Tagen die vertraute, längst verstorbene Mutter benötigte, die ihr Mut zusprach!

Für die Tochter war dies ein sehr eindrückliches Erleben. Die einfühlenden Gespräche und Hinweise diese Visionen ernst zu nehmen und sie der Mutter nicht auszureden, fand sie sehr hilfreich und unterstützend!

Erfahrungsbericht aus der häuslichen Betreuung:

62-jährige schwerstkranke Frau, weiß, dass sie bald sterben wird. Betreut wurde sie von ihrer Schwester, einer Hospizhelferin und mir.

In all den langen Krankheitsjahren hatte sie parallel neben der schulmedizinischen Versorgung auch engmaschige Betreuung in komplementären und spirituellen Heilungswegen gefunden.

Beim Abschied, d.h. bei ihrem Sterben, durfte ich sie gemeinsam mit ihrer Schwester begleiten. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein ergreifendes Erleben: Ich saß bei ihr am Bett und mir war bewusst, dass der Zeitpunkt des Todes sehr nahe war. Sie war ganz präsent und fragte unverblümt: "Muss ich jetzt sterben?" Ich antwortete: "Ja, es ist soweit." (Ich weiß bis heute nicht, woher diese rasche Antwort kam).

Patientin griff zum Telefon, rief ihre Tochter und ihren Sohn an, die beide weiter weg wohnten, verabschiedete sich von ihnen, dankte dann ihrer Schwester mit einer Umarmung, Tränen und Erschöpfung zeigten sich!

Es kam zu einer kleinen Erholungspause, dann schlug sie die Augen wieder auf, dankte auch mir und betonte, dass ich ihr zur Freundin geworden sei und bat in diesen letzten Stunden um das DU. Wir umarmten uns, und gemeinsam mit der Schwester versprachen wir, an ihrer Seite zu bleiben. Nach ca. einer halben Stunde rief sie:

"Mutter, ich komme, das Tor ist offen, die Wiese ganz grün, ich komme", sie öffnete dabei ganz weit die Augen, die Arme hob sie in die Luft, nochmals sagte sie: " Mutter ich komme jetzt!" Daraufhin glitt sie ins Koma und verstarb 3 Stunden später.

Dies war für mich sehr eindrücklich, deshalb habe ich mir diese Offenbarung am Sterbebett gleich am selben Tag niedergeschrieben, um sie wahrheitsgetreu wiedergeben zu können!

Bericht der Seelsorgerin im stationären Hospiz:

Sie berichtet von einem älteren Herrn, welcher schon sehr geschwächt seit Wochen im Hospiz lag. Er war klar ansprechbar, wach und gut orientiert!

Es schien ein Tag wie jeder andere zu werden: doch plötzlich überkam ihn ein ganz intensives Gefühl und eine starke Empfindung, unverblümt offen teilte er mit: "Meine Todesstunde naht", jedoch nahm das keiner wirklich ernst, da es keinerlei äußere Anzeichen gab!

Er bestellte noch etwas zu essen, er aß seinen Teller ganz leer, bat darum, dass man seine Ehefrau anrufen soll, da er am Nachmittag versterben würde! Dies wurde getan, die Ehefrau kam und in ihrem Beisein verstarb der Patient genau an diesem Nachmittag, für alle völlig überraschend!

Woher und von wem bekam er diese Information?

Woher kam diese Klarheit? Dieses Wissen?

Erfahrungsbericht aus dem Seniorenheim:

Während meines Rufbereitschaftsdienstes habe ich folgende Patientensituation erleben dürfen: Notfallmäßig wurde ich zu einer von unserem Team betreuten Bewohnerin gerufen. Mein Kollege "übergab" mir die Patientin vor dem Wochenende mit den Worten: "Bei Frau P. ist alles stabil, da brauchst du dich nicht zu kümmern!"

Doch dann kam der Anruf am Sonntag, dass es Frau P. akut schlecht ging! Als ich in das Bewohner/innen Zimmer trat, saßen die Tochter und ein Pfleger am Bett. Es war offensichtlich, dass die Bewohnerin in einer akuten Schmerzkrise war, so dass es meine vordringlichste Aufgabe war, erst mal ihre Schmerzen zu lindern. Danach setzte ich mich zur Tochter mit ans Bett und teilte ihr meine Einschätzung mit, dass ich wahrnehme, dass die Mutter zum Sterben komme. Der Pfleger antwortete daraufhin: "Das kann doch nicht sein, sie ist doch die vergangene Woche und noch heute Morgen mit ihrem Rollstuhl über den Flur gefahren." Sie habe zum Erstaunen aller Bewohner und dem Pflegepersonal gesagt: "Am Sonntag werde ich sterben". Alle hätten das nicht ernst genommen, da es ihr doch tatsächlich wieder gut ergangen sei! Dies bestätigte auch die Tochter, die ebenfalls von ihrer Mutter zwei Tage zuvor zu hören bekommen hatte: "Am Sonntag werde ich sterben".

So saßen wir am Bett. Zwei Stunden später verstarb Frau P.

Auch hier stellt sich die Frage: Woher kam diese Botschaft? Dieses Wissen?

Zum Abschluss meiner Ausführungen halte ich fest:

  • dass wir uns bemühen, eine offene Haltung im Umgang mit sterbenden und trauernden Menschen zu erlangen - und dass wir auch den Angehörigen vermitteln, was im Umfeld von Todesnähe auftreten kann, damit sie diese Erscheinungen einordnen können.
  • Sterbebettvisionen aufgeschlossen gegenübertreten, um deren Existenz wissen, dazu benötigen wir selbst keine besondere Religion, keine eigenen spirituellen Erfahrungen - ein sich-dafür-Öffnen kann hilfreich sein!
  • Bewusstseins-Erfahrungen in Todesnähe sind wie schon berichtet oft mit Stress und Unruhe verbunden, was leider selbst von uns medizinisch tätigen Menschen noch nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit wahrgenommen wird! Bedingt durch Nicht-Wissen gehen wir vielleicht viel zu schnell zu einer Medikalisierung über!
  • Unsere Hospiz- und palliative Versorgung zeichnet sich gerade in unserem heutigen Gesundheitswesen dadurch aus, dass wir vermehrt auf die Bedürfnisse der Schwerstkranken eingehen können und bedürfnisorientiert pflegen und behandeln. Doch stellt sich mir die Frage: Wissen wir ausreichend genug auch über die innerseelischen Vorgänge im Sterben Bescheid?

Vielleicht ist es mir mit diesen Ausführungen gelungen herauszustellen, dass Sterben eben mehr ist als "nur" ein körperliches Geschehen oder ein Ablegen unserer leiblichen Hülle!
Sich mit dem Tod zu beschäftigen, stellt uns immer wieder vor die großen Schlüsselfragen, welche die Menschheit seit Menschengedenken bewegen!

Wer bin ich?

Wo komme ich her und wo gehe ich hin?

Ist der Tod ein Tor zu einer anderen Daseinsform?

Meine Vision für die Menschen ist, dass wir uns auf den Tod genauso vorbereiten, wie wir uns vorbereiten, wenn wir schwanger sind! Während dieser Zeit gehen wir mit unserem Partner zur gemeinsamen Schwangerschaftsvorbereitung, lesen Bücher, sprechen mit vielen Freunden, feiern ein Fest!

Wenn wir erfahren, dass wir sterbenskrank sind, verstummen wir! Die Sprache findet keine Worte mehr. Aus Angst und aus vielleicht verzerrten Vorstellungen, die wir über den Tod haben!

Ich wünsche jedem einzelnen Menschen Mut und zumindest den Versuch, sich mal einige Zeit intensiver mit dieser Seite des Lebens zu beschäftigen, ich glaube, dass dies sehr lohnenswert ist!

Ich habe noch viele weitere Erfahrungsberichte, die ich aber nicht alle veröffentlichen möchte.

Gerne bin ich bereit, über diese sehr eindrücklichen Wahrnehmungen im Umgang mit sterbenden und trauernden Menschen für Gespräche oder auch Vorträge zur Verfügung zu stehen!