Nach dem Tod

Für den folgenden Beitrag, den die international renommierte Nahtod-Forscherin und Autorin, Frau Evelyn Elsaesser-Valarino, mir für die Veröffentlichung auf dieser Website zur Verfügung gestellt hat, und für die Wiedergabeerlaubnis des Santiago Verlags, Goch, danke ich beiden ganz herzlich. Der Beitrag wurde in dem Buch „Begegnung mit Verstorbenen? - Beiträge aus Wissenschaft und Therapie zu einem tabubesetzten Thema“, herausgegeben von Alois Serwaty und Joachim Nicolay, veröffentlicht.
Literatur / Bibliographie zu diesem Beitrag

 

Evelyn Elsaesser-Valarino: Nachtodkontakte

 

Denis ist gerade mit dem Auto unterwegs nach Hause, als er mit einem LKW zusammenprallt und dabei ums Leben kommt. Lucie und Denis waren unsterblich ineinander verliebt. Die beiden gaben ein außergewöhnliches Paar ab. Sie hatten das seltene Glück, einander blind zu verstehen, ihre Liebe für einander war offenkundig, und sie wollten bald zusammenziehen. Denis war gerade vierzig geworden und sah diesem neuen Abschnitt seines Lebens mit großer Aufregung entgegen. Lucie hatte ihr Haus zum Verkauf angeboten. An jenem Abend war sie zu Hause geblieben, da sie am nächsten Tag sehr früh aufstehen musste. Obwohl es schon spät war, hatte sie ihr Handy nicht ausgeschaltet, da Denis sie gleich nach seiner Rückkehr anrufen würde. Doch dann meldet sich die Feuerwehr.

In den ersten Tagen nach dem Unfall kann Lucie sich nicht dazu entschließen, im Haus von Denis zu übernachten. Dieses Bett, das nicht gemacht ist, sein Geruch in den Laken… das alles ist zu brutal, zu plötzlich, so unvorstellbar. Als sie schließlich in Begleitung von Freunden erschöpft und vom Schmerz ausgelaugt wieder in sein Haus kommt, beschließt sie, über Nacht zu bleiben. Dann brechen ihre Freunde wieder auf, und sie bleibt alleine zurück. Sie geht ins Schlafzimmer und lässt sich, eingewickelt in eines seiner Kleidungsstücke, aufs Bett sinken. Lucie legt sich hin, und etwas in ihr lässt los, sie gibt diesem Gefühl nach und schließt die Augen. Plötzlich fühlt sie Denis‘ Gegenwart. Er ist hier, neben ihr, davon ist sie überzeugt. Auf der Matratze neben ihr sieht sie einen Abdruck, den Abdruck eines Körpers. Dieses Erlebnis ist so intensiv, dass Lucie von ihren Gefühlen überwältigt ist. Denis ist hier, „er ist gekommen, um mich zu trösten. Er hat gespürt, dass ich nicht mehr konnte… und er ist gekommen, um mir zu sagen, dass er da ist!“ Lucie erzählt mir am nächsten Abend von ihrem Erlebnis. Sie ist ganz durcheinander, weil sie überhaupt nicht weiß, mit wem sie darüber sprechen soll, aber sie muss darüber sprechen. (Allix Bernstein, 2009, S. 131)

 

Definition

Schilderungen darüber, dass Verstorbene scheinbar mit ihren lebenden Verwandten oder anderen Bezugspersonen, den sogenannten Empfängern, in Verbindung treten oder mit ihnen kommunizieren, wurden vor allem in den USA unter dem Begriff After-Death Communication untersucht. Die englische Abkürzung ADC ist auch im Deutschen geläufig. Ausgeschrieben wird oft der Ausdruck Nachtodkommunikation verwendet, wir bevorzugen allerdings die Bezeichnung Nachtodkontakt, da diese Erfahrungen auf sehr subtile Weise geschehen können und nicht unbedingt in Form einer Kommunikation ablaufen, sondern die Empfänger dabei häufig einfach einen Kontakt mit dem Verstorbenen erleben oder dessen Gegenwart spüren. Wir beschränken uns auf die Beschreibung der spontanen und direkten Nachtodkontakte, für die folgende Merkmale charakteristisch sind: Sie werden nicht absichtlich herbeigeführt und treten ohne erkennbare äußere Ursache auf; die Empfänger standen mit den Verstorbenen zu deren Lebzeiten in einem Verwandtschafts- oder einem anderen Naheverhältnis; sie werden über verschiedene Sinne erlebt und variieren in ihrer Ausgestaltung sowie in ihrer Intensität. Aus dieser Definition ausgeschlossen sind Kontakte mit „spirituellen Entitäten“ oder „Engelwesen“.

 

Inhalt und Beschreibung von Nachtodkontakten (ADCs)

Eine von den Amerikanern Bill und Judy Guggenheim durchgeführte Studie1 hat es ermöglicht, eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen der Nachtodkontakte zu treffen. Ab dem Jahr 1988 haben sie 2.000 AmerikanerInnen und KanadierInnen befragt und 3.300 geschilderte Erfahrungen untersucht. Ausgehend davon haben sie die Nachtodkontakte in folgende Kategorien eingeteilt:

 

ADC mit Gegenwartsempfindungen:
Hierbei handelt es sich um die häufigste Form, bei der man die Gegenwart des Verstorbenen fühlt, ihn aber weder sehen noch hören kann. Die Empfänger beschreiben sie generell als eine von Liebe geprägte, Trost bringende, ja sogar fröhliche Erfahrung.

 

Akustische ADC:
Hier gibt es zwei Möglichkeiten, da die Stimme, die von den Empfängern wahrgenommen wird, sowohl von außen als auch von innen kommen kann. Im ersten Fall erfolgt der Kontakt mit dem Verstorbenen in Form eines Dialogs wie bei einem normalen Gespräch unter Lebenden, während es sich im zweiten Fall um den Empfang einer Botschaft handelt, die auf telepathischem Wege übermittelt wird.

 

Taktile ADC:
Dabei kommt es zu einer körperlichen Berührung des Lebenden, bei der man zum Beispiel eine Hand auf der Schulter oder eine Umarmung spürt. Die Art der Berührung wird für gewöhnlich als für den Verstorbenen typisch beschrieben und kommt nur vor, wenn sich die Menschen sehr nahe gestanden sind (Partner, Eltern-Kind, etc.).

 

Olfaktorische ADC:
Hier handelt es sich um einen bestimmten Duft, der mit dem Verstorbenen assoziiert wird, wie zum Beispiel ein Parfum, eine Tabaksorte etc.

 

Visuelle ADC:
Bei dieser Form gibt es eine große Bandbreite, die in zwei Untergruppen unterteilt werden kann, je nachdem, ob man den Körper des Verstorbenen teilweise (entweder nur den Kopf und die Schultern) oder komplett (den gesamten Körper) sieht. Solche Erscheinungen können mit allen möglichen Abstufungen von den bloß nebelhaften und teils durchsichtigen Umrissen bis zur lebensecht wirkenden Gestalt reichen. Eine visuelle ADC kann sich an den unterschiedlichsten Orten ereignen wie zum Beispiel zu Hause (häufig im Schlafzimmer, meist neben dem Bett oder am Fußende des Bettes), aber auch außerhalb der eigenen vier Wände, ja sogar im Auto oder im Flugzeug. Zu den spektakulärsten Fällen zählen jene, in denen man einen Verwandten sieht, den man gar nicht kennt und erst anschließend anhand eines Fotos identifizieren kann wie zum Beispiel ein adoptiertes Kind seine leibliche Mutter oder einen Vorfahren. Der Verstorbene kann dem Empfänger auch in Form eines zwei- oder dreidimensionalen Bildes erscheinen. In diesem Fall spricht man auch von ADC-Visionen, die eher selten vorkommen, durch leuchtende Farben geprägt sind und bei denen man den Verstorbenen entweder als „äußere“ Person vor sich sieht oder ihn als inneres Bild wahrnimmt.

 

ADC zwischen Wachen und Schlafen:
Zu einem solchen Nachtodkontakt kommt es beim Einschlafen oder Aufwachen, Meditieren und Beten.

 

ADC im Schlaf:
Eine Erfahrung im Schlaf unterscheidet sich deutlich von einem herkömmlichen Traum, da sie viel klarer, intensiver, farbenprächtiger, logischer, realer und außerdem nicht so komplex, symbolisch und bruchstückhaft ist wie Träume. Diese Art von ADC kommt sehr häufig vor.

 

Außerkörperliche ADC:
Diese Form des Phänomens kann beim Schlafen oder Meditieren auftreten. Betroffene berichten, dass sie ihren physischen Körper verlassen haben und dem Verstorbenen in jener Dimension begegnet sind, in der er sich seit seinem Tod befindet. Sie ist äußerst klar, intensiv und real, „realer als im echten Leben“.

 

ADC ohne Kenntnis des Todes:
Hier sind die Empfänger entweder wach oder sie wachen nachts plötzlich auf und hören oder sehen einen Verwandten oder eine Bezugsperson, die ihnen ruhig mitteilt, dass sie stirbt. („Ich komme, um dir Lebewohl zu sagen, ich gehe jetzt.“) Erfahrungen dieser Art ereignen sich exakt zu jenem Zeitpunkt, in dem die Person, die sich in diesem Augenblick an einem anderen Ort befindet, verstirbt, und zwar bevor die Betroffenen von anderen über diesen Umstand in Kenntnis gesetzt werden. In manchen Fällen ist mit dem Ableben auch nicht zu rechnen gewesen, da der Verstorbene zuvor nicht krank war. Es kann auch sein, dass man die Person schon lange nicht mehr gesehen hat, zum Beispiel einen Freund aus Kindertagen etc. David Fontana (2003), Professor an der Universität Cardiff und Liverpool in Großbritannien, berichtet von Fällen, in denen die Empfänger - eher einer Vorahnung gleich - vom Tode eines geliebten Menschen dadurch erfahren haben, dass sie die krankheits- oder unfallspezifischen körperlichen Empfindungen der Sterbenden (Schmerzen in der Brust, Kopfschmerzen usw.) verspürten, ohne vorher darüber informiert worden zu sein. Diese Form tritt häufiger auf, wenn die Beziehung zwischen dem Empfänger und dem Verstorbenen besonders eng war2.

 

ADC am Telefon:
Diese ziemlich seltene Form kann im Wachzustand oder im Schlaf auftreten. Man erhält dabei eine kurze Nachricht vom Verstorbenen, während man ans Telefon geht. Es kann aber auch zu einem Zwiegespräch kommen.

 

ADC mit physikalischen Phänomenen:
Hier berichten die Empfänger von einer Vielfalt physikalischer Ereignisse, die anscheinend durch den Verstorbenen ausgelöst werden: Lichter gehen an und aus; Lampen, Hi-Fi-Anlagen, Fernseher oder andere Elektrogeräte werden eingeschaltet; verschiedene Uhren bleiben stehen, wenn der Angehörige bzw. die Bezugsperson stirbt; Fotos, Bilder und andere Gegenstände werden verrückt oder umgedreht. Dazu kommen zahlreiche weitere Dinge, die „nachts Lärm machen“.

 

Symbolische ADC:
Bei dieser subtilen Erfahrung nimmt man in seiner Umgebung etwas wahr, das als Zeichen vom Verstorbenen gedeutet wird. Diese Symbole sind oft Dinge, die man gemeinsam erlebt hat oder die der Verstorbene besonders gerne mochte. Es kann sich dabei um alles Mögliche handeln: um Tiere (oftmals sind es Vögel oder Schmetterlinge), die sich scheinbar ungewöhnlich verhalten, zum Beispiel, indem sie sich dem Trauernden auf unübliche und wiederholte Weise nähern; um meteorologische Phänomene, die zu einem bedeutsamen Zeitpunkt auftreten, wie zum Beispiel ein Regenbogen; um die Lieblingsblume des Verstorbenen, die man entweder an einem ungewöhnlichen Ort in der Natur oder zur falschen Jahreszeit entdeckt; um Gegenstände des Verstorbenen, die man unerwartet wiederfindet etc.

 

Erschreckende ADC:
Hier gibt es zwei verschiedene Formen, wobei beide äußerst selten sind. Die erste kann jede der angeführten Kategorien betreffen, denn obwohl die eigentliche Botschaft beruhigend und liebevoll ist, löst das Erlebnis Angst, ja sogar Panik, aus. Eine so außergewöhnliche Erfahrung, die nicht dem Glaubenssystem des Empfängers entspricht, kann ihn in einen großen Schrecken versetzen. Die zweite Form, bei der einem der Verstorbene auf bedrohliche Weise erscheint, erfolgt im Traum und ist ausgesprochen selten.

 

„Schützende“ ADC:
Eine solche Erfahrung ereignet sich in Krisensituationen und warnt den Empfänger vor dramatischen Ereignissen wie einem Unfall, einem Brand, einem Überfall, einer bisher nicht diagnostizierten Krankheit, einer gefährlichen Situation für ein Kind, etc. Wenn jemand im Begriff ist, sich das Leben zu nehmen, greift der Verstorbene, dessen Tod schon lange zurückliegen kann, anscheinend ein, um den Hinterbliebenen von seinem Vorhaben abzuhalten, indem er ihm klar macht, dass sein Problem nur vorübergehender Natur ist und sich eine Lösung finden wird. Es handelt sich dabei oft um den erstmaligen Kontakt mit dem Verstorbenen, der erst Jahre oder Jahrzehnte nach seinem Ableben stattfindet.

 

„Praktische“ ADC:
Dieser Ausdruck bezeichnet ein Erlebnis, bei dem der Verstorbene seinen Angehörigen bzw. Bezugspersonen Informationen über materielle Dinge zukommen lässt. Dazu zählen Ersparnisse, von denen niemand wusste und die so gut versteckt wurden, dass sie ohne dieses Wissen nicht auffindbar wären, eine Versicherungspolice oder andere wichtige Dokumente, die von den Hinterbliebenen dringend benötigt werden.

 

Gemeinsam erlebte ADC:
Manchmal wird eine visuelle, auditive, taktile oder olfaktorische ADC oder eine ADC mit Gegenwartsempfindungen von mehreren Personen, die sich zur selben Zeit am gleichen Ort befinden, gemeinsam erlebt. Das Teilen einer solchen Erfahrung verstärkt das Gefühl der Wirklichkeit des Erlebten.

 

ADC mittels Drittperson:
Louis LaGrand, Professor emeritus an der Universität New York und Trauerberater, ergänzt diese Einteilung durch Nachtodkontakte, die über eine dritte Person erfolgen. Dabei erhält ein Außenstehender eine Botschaft für den trauernden Menschen. Diese Form entspricht nur teilweise unseren Auswahlkriterien, da eine solche Erfahrung zwar spontan (weil nicht absichtlich herbeigeführt), aber nicht direkt ist. Zu den spektakulärsten Fällen zählen jene, in denen derjenige, der die Botschaft empfängt, weder den Verstorbenen noch den Hinterbliebenen kennt, aber anscheinend trotzdem als Überbringer ausgesucht wurde. (Ring, 1984, S. 165).

 

Vielfalt der Nachtodkontakte (ADCs)

Es ist möglich, mehrere Formen der Nachtodkontakte gleichzeitig zu erleben. So kann man zum Beispiel die Gegenwart des Verstorbenen fühlen, der einem die Hand auf die Schulter legt, und zugleich den vertrauten Duft wahrnehmen, den dieser Mensch immer verströmte. Die Vielfalt der Erfahrungen, ob sie sich nun gleichzeitig oder in zeitlichen Abständen ereignen, wird durch eine Studie belegt, die von dem Amerikaner James A. Houck, assoziierter Professor am Neumann College in Aston, durchgeführt wurde. Daraus geht hervor, dass die meisten Trauernden zwei bis vier Nachtodkontakte erleben (Houck, 2005, S. 124), die scheinbar vom selben Verstorbenen herbeigeführt werden. Houck stellt fest, dass von den 59 StudienteilnehmerInnen, die eine ADC im Schlaf erlebt hatten, nur 12 davon ausschließlich Erfahrungen im Schlaf hatten. Die restlichen 47 berichteten von Nachtodkontakten im Schlaf, die in Kombination mit olfaktorischen, visuellen, auditiven oder olfaktorisch-auditiven Erfahrungen auftraten. Bei den 63 Personen, deren ADC nicht im Schlaf, sondern im Wachzustand erfolgte, handelte es sich hauptsächlich um eine olfaktorische ADC, gefolgt von auditiven, auditiv-taktilen und visuellen Erfahrungen (Houck, 2005, S. 122).

Erlendur Haraldsson, isländischer Professor für Psychologie, führte Gespräche mit 100 Personen, die eine ADC im Wachzustand erlebt hatten, darunter 35 Männer und 65 Frauen. In 84 Fällen berichteten die Betroffenen von Sinneswahrnehmungen und in 16 Fällen von Erfahrungen, die nicht visueller Natur waren, aber mit einer starken Gegenwartsempfindung einhergingen. Die 100 Schilderungen konnten wie folgt zugeordnet werden: 59 visuelle, 80 auditive, 7 taktile und 5 olfaktorische ADCs sowie 16 ADCs mit Gegenwartsempfindungen (Haraldsson, 1994), wobei anzumerken ist, dass die Summe dieser Erfahrungen mehr als 100 beträgt, da einige Personen mehrere Nachtodkontakte erlebt hatten. In zwei Dritteln der Fälle handelte es sich um einzelne und kurze Erfahrungen.

Wir bedauern, dass keine umfangreicheren Untersuchungen vorliegen, mit deren Hilfe es möglich wäre, in großem Maßstab zu berechnen, welche Form der Nachtodkontakte prozentual gesehen wie häufig vorkommt.

Die Forschungsergebnisse zeigen derzeit nur, dass ADCs mit Gegenwartsempfindungen und ADCs im Schlaf zu den häufigsten zählen (LaGrand, 1999; Wright, 1998).

 

Häufigkeit der ADCs

Wie aus der Einteilung nach Guggenheim und Guggenheim ersichtlich ist, variieren Nachtodkontakte sehr stark in ihrer Art und Intensität. Viele Menschen in Trauer fühlten die Gegenwart eines verstorbenen Verwandten oder einer Bezugsperson in einem Augenblick intensiver Trauer oder aber, ganz im Gegenteil, zu einem Zeitpunkt, in dem sie nicht an den Verstorbenen dachten und ihren Alltagsbeschäftigungen nachgingen, während die vollständige Erscheinung des Verstorbenen gefolgt von einem Gespräch beispielsweise sehr viel seltener vorkommt. Diese große Diskrepanz muss berücksichtigt werden, wenn es darum geht zu analysieren, wie häufig sich Nachtodkontakte ereignen.

Im Rahmen einer groß angelegten europäischen Studie über menschliche Wertvorstellungen (European Human Values Survey, European Value Systems Study Group, 1987), die in ihrer ersten Version zwischen 1980 und 1983 in 13 Ländern durchgeführt wurde, wurden psychische Erfahrungen in den Bereichen Telepathie, Hellsehen und Kontakte zu Verstorbenen untersucht. In Bezug auf den dritten Punkt wurde die folgende Frage gestellt: „Hatten Sie schon einmal das Gefühl, tatsächlich Kontakt mit einem Verstorbenen zu haben?“. Die Zahl der Personen, die darauf mit „Ja“ antworteten, unterschied sich von Land zu Land sehr stark und betrug zwischen 9% und 41%.

Island lag mit 41% an erster Stelle, gefolgt von Italien mit 34%, der damaligen BRD mit 28%, Großbritannien mit 26%, Frankreich mit 24%, Belgien mit 18%, Irland und Spanien mit 16%, Finnland und Schweden mit 14%, Holland mit 12%, Dänemark mit 10% und Norwegen mit 9%. Insgesamt geht aus der Studie hervor, dass ein Viertel der Europäer angibt, einen direkten Nachtodkontakt erlebt zu haben (gewogenes Mittel im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße) (Haraldsson, 2005, S. 179).

Der britische Forscher und Arzt W.D. Rees befragte 81% der Witwer und Witwen einer Provinz aus Wales, was einer Gesamtzahl von 293 Personen entspricht, und fand heraus, dass 50% der Witwer und 46% der Witwen einen Nachtodkontakt im Wachzustand mit ihrem verstorbenen Ehepartner erlebt hatten. Davon haben 39% ihre Gegenwart gefühlt, 14% haben sie gesehen, 13% haben sie gehört und 12% haben mit ihnen kommuniziert. Außerdem wurden 3% von ihrem verstorbenen Partner körperlich berührt (Rees, 1971). Unter Eheleuten kommen Nachtodkontakte häufiger vor als bei anderen Verwandten oder Bezugspersonen. Long und Long schätzen diese Zahl auf 47% bis 51%3. Auf ihrer Website veröffentlichen Long und Long ältere Statistiken, denen zufolge 1958 50% der befragten englischen Witwen einen solchen Nachtodkontakt erlebt hatten und 1971 47% der befragten Witwen in Wales4.

Guggenheim und Guggenheim schätzen, dass zwischen 62 und 124 Millionen AmerikanerInnen einen oder mehrere Nachtodkontakte erlebt hatten, also 20% bis 40% der Gesamtbevölkerung (310 Millionen) der Vereinigten Staaten. LaGrand (2001, S. 27) spricht von 70 Millionen oder 44% der AmerikanerInnen. In einer Studie mit 162 Menschen stellte Houck (2005) fest, dass 122 Trauernde (75%) zumindest einen Nachtodkontakt erlebt hatten, davon 92 Frauen (84%) und 30 Männer (58%).

Andrew Greeley, Professor für Soziologie an den Universitäten Chicago und Arizona, führte 1973 auf nationaler Ebene eine Studie mit 1.467 AmerikanerInnen durch, denen er folgende Frage stellte: „Hatten Sie schon einmal das Gefühl, tatsächlich Kontakt mit einem Verstorbenen zu haben?“. 42% der Befragten antworteten darauf mit „Ja“. Greeley stellt fest, dass „mehr als 50 Millionen Menschen ein solches Erlebnis hatten, 6 Millionen sogar mehrmals“. Bei den Witwern und Witwen berichteten 51% von einem solchen Kontakt mit ihrem verstorbenen Ehepartner (Greeley, 1975).

Was bedeuten diese Statistiken? In erster Linie eine wesentliche Tatsache, nämlich die Feststellung, dass es sich bei diesem Phänomen mit Sicherheit um keine Randerscheinung handelt. Sehr viele Menschen auf der ganzen Welt erleben Nachtodkontakte bzw. glauben sie zu erleben, unabhängig davon, in welcher Form oder Intensität sie wahrgenommen werden.

 

Identität der Beteiligten und Art der Beziehung

In einer von Haraldsson organisierten Studie mit 127 Menschen waren 53% der Verstorbenen, die eine ADC „herbeiführten“, nahe Verwandte, 10% Freunde oder Kollegen, 11% Bekannte oder Fremde, und 26% konnten nicht identifiziert werden (Haraldsson, 1988-1989, S. 110).

Long und Long analysierten eine Stichprobenerhebung von 46 ADCs, bei denen die Beteiligten in 35 Fällen (76%) miteinander verwandt waren und nur in 5 Fällen (14%) einander zwar nahe standen, aber nicht miteinander verwandt waren5. Diese Ergebnisse werden durch Studien mit einer größeren Teilnehmerzahl bestätigt oder widerlegt werden müssen. Bezüglich der Art der Beziehung zu dem Verstorbenen bezeichnen 281 (79,2%) der 355 von Long und Long Befragten diese als eng bis sehr eng. 22 (6,2%) beschreiben ihr Verhältnis zu dem Verstorbenen als konfliktreich; diese Kontakte werden dann als Möglichkeit betrachtet, die zum Zeitpunkt des Todes nicht geklärten Probleme doch noch zu lösen. Die restlichen 14,6% betreffen Personen, die keine besonders enge Beziehung zu dem Verstorbenen hatten, die zum Zeitpunkt des Todes noch zu jung waren, um die betreffende Person gekannt zu haben, oder Kontakte, die von Babys „herbeigeführt“ werden, die ein paar Tage nach der Geburt gestorben sind6.

 

Zeitpunkt und Umstand des Auftretens eines Nachtodkontaktes

Ein Nachtodkontakt ist immer an einen Tod gebunden, unabhängig davon, ob dieser erst kürzlich geschah oder bereits lange zurückliegt. Die meisten Erfahrungen ereignen sich im ersten Jahr nach dem Ableben, insbesondere innerhalb der ersten sieben Tage. Long und Long geben an, dass von 238 Berichten 46 ADCs (19%) innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Tod oder sogar nach ein paar Stunden auftraten7. Zwei bis fünf Jahre nach dem Versterben nimmt die Häufigkeit der Kontakte ab.

Erfahrungen, die zwischen fünf und mehr als dreißig Jahren nach dem Tod erfolgen, sind noch seltener und fallen oftmals in die Kategorie der „schützenden“ ADCs.

Was die Umstände betrifft, unter denen ADCs auftreten, stellen Long und Long fest, dass die eine Hälfte ihrer StudienteilnehmerInnen die Erfahrungen im Wachzustand, die andere Hälfte sie im Schlaf erlebt hatte. Sehr wenige Menschen berichteten, dass die Kontakte beim Meditieren oder in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen stattfanden. Meistens sehen oder fühlen die Empfänger die Gegenwart eines einzelnen Verstorbenen. Dies scheint logisch für Kontakte im Wachzustand, ist aber bei den ADCs im Schlaf umso erstaunlicher, da man normalerweise von mehreren Personen träumt, egal ob lebendig oder tot. In einer ihrer Studien mit 395 Menschen, die sowohl Nachtodkontakte im Wachzustand als auch im Schlaf erlebt hatten, stellten Long und Long fest, dass nur 4 davon (1%) berichtet hatten, sowohl verstorbene als auch lebende Personen gesehen zu haben. Die Forscher schließen daraus, dass sich ADCs im Schlaf deutlich von herkömmlichen Träumen unterscheiden8.

Haraldsson wiederum schließt aus seiner Studie, dass etwas weniger als die Hälfte der Wahrnehmungen bei Tageslicht oder elektrischem Licht erfolgte, während 25% der Erfahrungen unmittelbar vor dem Einschlafen oder beim Aufwachen auftraten. Eine genauere Analyse liefert folgende Ergebnisse: 44% der Fälle ereigneten sich bei Tageslicht oder elektrischem Licht, 20% in der Dämmerung, 9% in der Dunkelheit, 29% waren variabel/unspezifisch. 30% der Fälle erfolgten, während der Empfänger körperlich aktiv war, 24% in Ruhephasen, 8% beim Einschlafen, 17% beim Aufwachen, 15% zwischen Schlafen und Wachen, 5% unter anderen Umständen (Haraldsson, 1994).

Die Forschungsergebnisse liefern keine Bestätigung für die allgemeine Annahme, dass ADCs eine Reaktion auf den Zustand der Verzweiflung der trauernden Person darstellen. LaGrand schätzt, dass 99% der Kontakte stattfanden, als der Empfänger ruhig war, nicht an den Verstorbenen dachte und seinen Alltagsbeschäftigungen nachging. Der Kontakt erfolgt plötzlich, ohne erkennbare Ursache.

Er geschieht nicht, weil man darauf gewartet hat, sondern kommt überraschend. In selteneren Fällen beten die Trauernden um ein Zeichen, das dann manchmal auch tatsächlich erfolgt (Haraldsson, 1994). Haraldsson bestätigt, dass die Kontakte, welche die Empfänger erlebten, als sie traurig waren, nur 11% der Fälle ausmachen (Haraldsson, 1994, S. 1865).

Die Dauer von Nachtodkontakten ist normalerweise kurz und beträgt ein paar Sekunden oder Minuten. Kombinierte Kontakte dauern länger.

Die meisten Nachtodkontakte ereignen sich nicht im Beisein Dritter. Long und Long entdeckten in einer ihrer Studien, dass 103 Menschen (24,6%) einen Zeugen für ihre ADC hatten, insbesondere für ADCs mit physikalischen Phänomenen (Verrücken von Gegenständen, Einschalten von Geräten und Lampen etc.).

Ein besonders interessanter Fall handelt von Zwillingen, die sich an verschiedenen Orten befanden und gleichzeitig denselben Kontakt erlebten9.

 

Inhalt der Botschaften

Im Allgemeinen betrachten die Betroffenen die Erfahrung als ein vom Verstorbenen herbeigeführtes Erlebnis, dessen Ziel darin besteht, den Hinterbliebenen zu trösten und ihm bei der Verarbeitung seiner Trauer zu helfen. Der Verstorbene „teilt mit“, dass er weiterlebt, dass es ihm gut geht und dass er glücklich ist, beschreibt aber keine weiteren Einzelheiten seiner neuen Daseinsform. Die Nachrichten enthalten alle mehr oder weniger die gleichen beruhigenden Botschaften: „Es geht mir gut… mach dir keine Sorgen um mich…“; „Sei nicht traurig… lass mich gehen… ich bin glücklich…“; „Ich werde immer bei dir sein und auf dich aufpassen… verzeih mir… danke für alles, was du mir gegeben hast…“; „Wir werden uns wiedersehen, ich liebe dich“. Von nicht positiv erlebten Botschaften wird nur äußerst selten berichtet. Bev Taylor, Professor für Krankenpflege an der Southern Cross Universität in New South Wales, Australien, betont, dass in vielen Fällen nicht der Inhalt der Botschaft an sich wichtig für die Betroffenen ist, sondern die Überzeugung, dass der Verstorbene mit ihnen in Kontakt getreten ist (Taylor, 2005).

 

Persönlichkeitsprofil des Empfängers

Beim Empfänger handelt es sich im Allgemeinen um jemanden, der trauert oder, in seltenen Ausnahmen, um jemanden, der eine Botschaft für einen Dritten empfängt, der um einen geliebten Menschen trauert. Besondere Merkmale des Empfängers wie Geschlecht, Alter, sozialer Status, Bildungsniveau, Religion, Rasse oder Nationalität spielen anscheinend weder für das Auftreten einer solchen Erfahrung noch deren Inhalt eine Rolle.

Die Interpretation der erhaltenen Botschaft ist jedoch individuell unterschiedlich und an die jeweilige Lebensgeschichte des Empfängers gebunden. Long und Long weisen darauf hin, dass anscheinend mehr Männer Nachtodkontakte herbeiführen und dass es sich bei den Empfängern mehrheitlich um Frauen handelt10. Haraldsson bestätigt diese Feststellung. Aus seiner Studie mit 357 Menschen geht hervor, dass 77% der Verstorbenen, die einen Nachtodkontakt herbeiführten, männlich waren. Was die Empfänger betrifft, handelte es sich bei seiner Analyse jedoch gleichermaßen um Männer wie um Frauen (Haraldsson, 1992).

Im Übrigen stellt er fest, dass 23% der Verstorbenen, die anscheinend einen Nachtodkontakt herbeiführten, eines gewaltsamen Todes gestorben waren (Haraldsson, 1994, S. 1866). Diese Zahl wird durch die Ergebnisse einer älteren Studie bestätigt, die von britischen Forschern durchgeführt und 1918 veröffentlicht wurde. Demnach waren 27,5% der Verstorbenen, die einen Nachtodkontakt herbeiführten, keines natürlichen Todes gestorben (Gurney, Myers, Podmore, 1918). Diese Ergebnisse entsprechen dem in vielen Ländern verbreiteten Volksglauben, dass Menschen, die eines gewaltsamen Todes starben (Mord, Selbstmord), den Hinterbliebenen öfter erscheinen als Personen, die unter anderen Umständen ums Leben kamen.

W.D. Rees, Professor an der Universität London, entdeckte in einer Studie mit 293 Witwern und Witwen, dass Menschen, die nach dem Tod ihres Ehepartners an Depressionen litten und therapeutische Hilfe in Anspruch nahmen, verhältnismäßig nicht häufiger Nachtodkontakte erlebten als die anderen StudienteilnehmerInnen. Daraus schloss er, dass „Halluzinationen dieser Art als normales Phänomen betrachtet werden sollten“ (Rees, 1971).

Houck schätzt, dass die Todesursache keinen entscheidenden Faktor darstellt (Houck, 2005, S. 122); ein gewaltsamer Tod scheint aber dennoch eine Ausnahme zu sein. Ob man an Gott glaubt, Agnostiker oder Atheist ist, hat keinerlei Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, einen Nachtodkontakt zu erleben. Kinder können ebenso wie Erwachsene Nachtodkontakte erleben.

Es scheint, dass Eltern, die ein Kind verloren haben, verhältnismäßig häufiger Nachtodkontakte erleben als andere Trauernde11. LaGrand (2008) berichtet, dass Kinder häufig Nachtodkontakte erleben, die von ihren Eltern jedoch oftmals nicht ernst genommen werden12. Die Lehre, die sie aus diesen Erfahrungen ziehen, wird von den Erwachsenen meist nicht gutgeheißen, und so sind sie sich selbst überlassen, wenn es darum geht, diesen Ereignissen einen Sinn zu verleihen. Hart (2003) und Lawson (2000) stellen fest, dass diese Erfahrungen dazu neigen, die Sicht, die diese Kinder von der Welt haben, zu verändern, ihre Entscheidungen, die sie in ihrem späteren Leben treffen werden, zu beeinflussen, und ihnen eine große Ehrfurcht vor dem Leben zu bescheren.

 

Trauer

Eines Tages werden wir alle mit dem Verlust eines geliebten Menschen konfrontiert. Je nachdem, wie stark unsere emotionale Bindung zu diesem Menschen war, wird dieser Verlust unser Leben in seinem Verlauf mehr oder weniger heftig durcheinanderbringen und vielleicht unser seelisches Gleichgewicht gefährden.

Unabhängig von unserer persönlichen Geschichte, ob wir spirituell oder philosophisch auf ein solch traumatisches Erlebnis vorbereitet sind, der Tod eines geliebten Menschen bedeutet immer einen tiefen Einschnitt in unser Leben. Menschen in Trauer sind in emotionaler und psychischer Hinsicht ebenso geschwächt wie in körperlicher, und vor ihnen liegt ein langer Weg, bestehend aus Auflehnung, Traurigkeit, Angst, Depression, Schuldgefühlen und schließlich Akzeptanz. Je nach den Todesumständen und dem Grad der Verbundenheit mit dem Verstorbenen kann der Trauerprozess komplex und langwierig sein.

 

Psychologische Bedeutung der Trauer

Der französische Psychiater und Psychoanalytiker Michel Hanus, ehemaliger Vorsitzender des Vereins Vivre son Deuil (zu Deutsch etwa Seine Trauer leben), beschreibt die psychologische Bedeutung der Trauer wie folgt13:

„Der Trauerprozess ist der manifeste Ausdruck der Auswirkungen der unbewussten psychischen Arbeit (Trauerarbeit), die über den Schmerz und eine Reaktion der psychischen Regression erfolgt. Dies geschieht hauptsächlich in drei Phasen:

  • Anerkennen der Realität des Verlustes: Erfolgt nicht sofort. Diese Reaktion der Weigerung ist völlig normal. Nach und nach überwindet man dieses Gefühl, aber dazu bedarf es einer gewissen Zeit. Die Anerkennung ist von Verzweiflung und Schmerz geprägt. Ohne Schmerz gibt es keine Trauer.
  • Stärkung der inneren Verbindung zu der Person, die man verloren hat: Darauf konzentriert sich das ganze Leben des Trauernden. Durch das Wiederaufleben der Erinnerungen erfolgt die nötige Arbeit des Lösens von der Person, die nicht mehr da ist.
  • Berücksichtigung unbewusster Schuldgefühle: Ist ebenfalls notwendig für die Trauerarbeit und zum Teil für den Schmerz verantwortlich. Diese Gefühle hängen damit zusammen, dass jede Form der Zuneigung ambivalenter Natur ist, auch wenn wir feindselige Regungen, die wir – zumindest zeitweise – verspüren, sicher unterdrücken.“

Die Stärkung der inneren Verbindung zu der Person, die man verloren hat, interessiert uns ganz besonders, da der Wunsch nach einem Kontakt mit dem Menschen, der nicht mehr da ist, offensichtlich einen natürlichen Bestandteil der Trauer darstellt. Das ist auch der Zusammenhang, in dem die Problematik der Nachtodkontakte besteht.

 

Diskussion über die Bedeutung der Erfahrung:

Normalität oder Halluzination

Die Frage der „Authentizität“ dieses Phänomens stellt sich auf intellektueller Ebene, obwohl die Kraft, die von diesen Erfahrungen ausgeht, so stark ist, dass die Empfänger nicht an der Echtheit des Erlebnisses zweifeln. Trotz der Überzeugung der Empfänger stehen jene, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit mit Menschen zu tun haben, die einen Nachtodkontakt erlebt haben, vor einer Reihe komplexer Fragen: Handelt es sich um eine Halluzination? Um den Ausdruck einer Psychose? Um eine unbewusste Kompensation? Um ein selbst generiertes Phänomen? Es sind mehrere Hypothesen in Betracht zu ziehen.

Die erste besagt, dass der durch den Verlust ausgelöste Stress psychische Auswirkungen auf den Trauernden hat. Das kann dazu führen, dass er vorübergehend labil, verwirrt oder emotional durcheinander und depressiv verstimmt ist und ein starkes Bedürfnis danach hat, ein Zeichen vom Verstorbenen zu erhalten. Dieser Hypothese zufolge handelt es sich bei ADCs um Halluzinationen, die vom Unterbewusstsein generiert werden und auf Erinnerungen beruhen, um dem Trauernden dabei zu helfen, seinen Kummer zu ertragen oder aber um das Produkt einer übermäßigen Fantasie. Die amerikanische Psychoanalytikerin L.-J. Kaplan betont, dass der Dialog ein Bedürfnis von solch zentraler Bedeutung für den Menschen darstellt, dass dieser nicht darauf verzichten kann (Kaplan, 1995). Innere Zwiegespräche mit dem Verstorbenen zu führen, ist ein normaler Bestandteil des Trauerprozesses. In einer Studie über betagte Menschen, die kürzlich ihren Partner verloren haben, stellen John Costello und Kevin Kendric (2000) fest, dass „symbolisch gesehen, dieser Dialog mit der inneren Erscheinungsform des verstorbenen Partners einen Trost darstellt“. Jedoch können ADCs, die sich Jahre bis Jahrzehnte nach dem Todesfall ereignen, nur schwer als Reaktion auf den unmittelbaren Stress der Trauer betrachtet werden, ebenso wenig wie jene ADCs, die in dem Augenblick stattfinden, in dem Angehörige bzw. die Bezugsperson stirbt, bevor man von diesem Umstand in Kenntnis gesetzt wird.

ADCs mittels Drittperson können mit dieser psychodynamischen Hypothese ebenfalls nicht erklärt werden. Man kann sich auch dazu veranlasst sehen, diese Erfahrungen einer psychischen Störung zuzuschreiben. In diesem Fall hätten ADCs eine pathologische Ursache.

 

Bericht von Professor Greyson

Doktor Bruce Greyson (2008), Professor für Psychiatrie, Vorstand der Division of Perceptual Studies und Leiter der Abteilung für Psychiatrie der Universität Virginia, hat diese Phänomene ausführlich untersucht:

„Viele Patienten berichten von ungewöhnlichen religiösen Erfahrungen. Es kann zum Beispiel sein, dass sie gehört haben, wie Gott zu ihnen spricht. Wie sollen wir da wissen, ob es sich dabei um eine Illusion handelt oder nicht? In Wahrheit gibt es verschiedene Arten von Botschaften, die von Gott kommen. Einige Patienten werden mir gegenüber behaupten, dass Gott ihnen gesagt hat, dass sie bestraft werden müssten und dass sie sich deshalb an jenem Morgen die Pulsadern aufgeschnitten haben, da sie glauben, ganz und gar schlecht zu sein. Für mich ist das etwas Pathologisches, weil ihr Verhalten gestört ist. Wenn man berücksichtigt, dass diese Menschen psychisch krank sind und man ihnen eine Psychotherapie oder Antipsychotika verordnet, werden sie das demnach nicht mehr glauben und ein produktiveres Leben führen. Andere Leute werden mir sagen: 'Gott hat heute mit mir gesprochen und gesagt, dass ich wegen des Todes meiner Mutter nicht mehr so traurig sein soll, weil sie jetzt an einem besseren Ort ist und dass es ihr gut geht.' Sie fühlen sich besser, getröstet durch dieses vermeintliche Gespräch mit Gott. Und ich werde nicht versuchen, ihnen diese Erfahrung wegzunehmen. […]

Wenn ich ihnen eine Psychotherapie oder Medikamente vorschlagen würde, damit sie das nicht mehr glauben, würde es nicht funktionieren. Das Wörterbuch definiert eine Halluzination – im Übrigen ebenso wie die Medizin - folgendermaßen: 'das Gefühl, etwas wahrzunehmen, obwohl es in Wirklichkeit nichts gibt, das wahrgenommen werden kann'. In Wirklichkeit wird der Begriff 'Halluzination' beliebig verwendet. Er kann auch bedeuten 'wahrzunehmen, was andere nicht wahrnehmen'. Damit werden pathologische Halluzinationen bezeichnet, also wenn es nichts gibt, das wahrgenommen werden kann, aber man kann damit auch andere Arten von Erfahrungen benennen, die nicht überprüft werden können. Obwohl das Wort 'Halluzination' also eine pathologische Konnotation aufweist, wird es manchmal gebraucht, um Erfahrungen zu beschreiben, die nicht pathologisch sind. Das bekannteste Beispiel sind die sogenannten Trauerhalluzinationen, in denen 50% der Witwer oder Witwen ihren verstorbenen Partner sehen, hören oder dessen Gegenwart fühlen.

Es bringt nichts, wenn man diese Erfahrungen als 'pathologische Halluzinationen' bezeichnet. Sie verursachen keine Verzweiflung, sie helfen jenen, die sie erleben, und gehen im Übrigen mit keinerlei weiteren Symptomen einer psychischen Erkrankung einher. Menschen, die an pathologischen Halluzinationen leiden, die also tatsächlich Dinge sehen, die nicht existieren, zeigen häufig – ich sollte sagen systematisch – weitere Anzeichen für eine psychische Erkrankung, entweder eine negative Veränderung der Persönlichkeit oder Veränderungen des Gemütszustands, welche mit den Halluzinationen einhergehen; sie ändern ihr Verhalten, finden sich nicht mehr zurecht, verlieren das Zeitgefühl, wissen nicht mehr, wo sie sind, sind insgesamt sehr verwirrt… Eine Halluzination hat man nicht plötzlich aus dem Nichts heraus, sondern sie erfolgt in einem Zusammenhang, und zwar dem eines verschlechterten Geisteszustands. Und das ist bei den sogenannten Halluzinationen, die Trauernde haben, absolut nicht der Fall.

Diese Menschen sind völlig normal, abgesehen davon, dass sie verstorbene Bezugspersonen sehen, hören oder von ihnen berührt werden. In diesem Kontext kann man nicht von Halluzinationen sprechen. Aber leider haben wir kein anderes Wort dafür, außer man verwendet den religiösen Begriff 'Vision' oder den paranormalen Ausdruck 'Erscheinung', aber es gibt keinen wissenschaftlichen Terminus für eine nicht gemeinsam erlebte Wahrnehmung.“

 

 

BEOBACHTUNG DER AUSWIRKUNGEN DER ERFAHRUNG

Die Folgen der Erfahrung

Ein Nachtodkontakt ist ein einschneidendes Erlebnis. Ob ein solcher Kontakt nun die Erfüllung eines innigen Wunsches darstellt oder ob es völlig unerwartet dazu kommt, ohne ihn herbeigesehnt zu haben, die Kraft, die von einem solchen Erlebnis ausgeht, ist so groß, dass die Betroffenen nicht an seiner Echtheit zweifeln. Für die große Mehrheit handelt es sich dabei um eine erschütternde Erfahrung, die als persönlicher Beweis dafür gesehen wird, dass der Verstorbene glücklich ist und in einer unbekannten Dimension weiterlebt. Viele halten sie gar für ein spirituelles Phänomen. Diese Kontakte stellen geliebte Erinnerungen dar, die man sein Leben lang hütet, sie werden Teil der Familiengeschichte und von Generation zu Generation weitererzählt. Für manche Empfänger sind diese Erfahrungen jedoch störend, beunruhigend, ja sogar erschreckend, entweder weil sie nicht in ihre Vorstellung von der Realität passen (was sie glauben, wahrzunehmen, ist angeblich gar nicht möglich) oder weil sie Ängste erwecken, die zum Beispiel aus der Kindheit stammen. Als Folge auf diese subjektiven Erlebnisse werden viele Menschen in ihrem Glauben an ein Leben nach dem Tod bestärkt oder sie ändern ihr Glaubenssystem in diesem Sinn. Sie haben weniger Angst vor dem Tod und sehen ihr Dasein aus einer neuen Perspektive. Viele Empfänger sind plötzlich offen für spirituelle Dinge. Long und Long stellen in einer ihrer Studien fest, dass ein Viertel der 355 befragten TeilnehmerInnen nach ihrer Erfahrung dem katholischen Glauben den Rücken kehrte und sich einer persönlicheren Form der Spiritualität zuwandte. Sie definieren Spiritualität als Verzicht auf das Dogma einer organisierten Religion zugunsten einer praktischen Umsetzung ihres Glaubens im alltäglichen Leben14.

Obwohl der Grad der Auswirkung von ADCs von Mensch zu Mensch variiert, besteht das gemeinsame und entscheidende Merkmal in der subjektiven Bestätigung oder Feststellung, dass ein geliebter Verstorbener anscheinend in einer unbekannten Dimension weiterlebt.

Aus einem persönlicheren Blickwinkel aus betrachtet bedeutet dies, dass die Empfänger den Eindruck haben, weiterhin geliebt zu werden; der Verstorbene gibt anscheinend von einer anderen Dimension aus auf sie acht, die Liebe scheint den Tod zu überdauern. Diese Elemente stellen eine mächtige Quelle des Trostes dar. LaGrand betont, dass „die Motivation, wieder aktiv am Leben teilzunehmen, oft von der Überzeugung herrührt, dass sich der Verstorbene offenbart hat, um Trost zu spenden“ (LaGrand, 2005, S. 5). In anderen Fällen können Beziehungen, die zu Lebzeiten schmerzlicher Natur oder von Konflikten geprägt waren, bei solchen Kontakten bereinigt werden.

Wie Hanus betont, ist die Weigerung, die Realität des Verlustes eines geliebten Menschen anzuerkennen, ein wesentlicher und normaler Bestandteil des Trauerprozesses. Die Schwierigkeit, diese Realität zu akzeptieren, ist oftmals die Ursache für eine Depression und das größte Hindernis auf dem Weg der Auflösung der Trauer. ADCs werden als Beweis gesehen, dass der Kontakt nicht völlig abgebrochen ist, was den Trauernden dabei helfen kann, den Tod zu akzeptieren.

ADCs können dem Empfänger dabei helfen, das Gefühl loszuwerden, dass der Tod des Angehörigen absurd ist. Er fühlt sich als Teil eines Ganzen, das er zwar nicht begreift und das seine Vorstellungskraft übersteigt, das dem tragischen Ereignis, welches ihm widerfahren ist, aber einen Sinn verleiht. Das geliebte Wesen ist zwar nicht mehr an seiner Seite, aber es lebt anscheinend anderswo weiter, und der Trauernde fühlt sich mit seiner Trauer nicht mehr so alleine. Die Frage nach dem Sinn ist ein wesentlicher Bestandteil der Trauerarbeit.

 

Therapeutische Nutzen von Nachtodkontakten

ADCs vermitteln das Gefühl, dass der verstorbene Angehörige weiterlebt, dass er glücklich ist und auf den Empfänger achtgibt. Nachtodkontakte sind geprägt von Liebe und Fürsorge, bringen Trost und lindern den Schmerz der Empfänger. Für sie ist das Erlebnis real, sie befolgen die Ratschläge, die sie im Zuge des Kontaktes erhalten haben, passen in der Folge ihr Glaubenssystem an und entwickeln eine neue Vorstellung vom Leben und vom Tod. LaGrand stellt fest, dass „diese Erfahrungen in ein paar Sekunden zu therapeutischen Veränderungen führen, die sonst erst nach Monaten, ja sogar erst nach Jahren, eintreten würden. Sie verändern die Sichtweise, die der Empfänger über den Verlust des geliebten Menschen hat, völlig15“. LaGrand betont, dass diese einschneidenden Ereignisse nicht nur dabei helfen, die Trauer zu verarbeiten, sondern die Grundlage für einen festen Glauben an ein Leben nach dem Tod bilden (LaGrand, 2005, S. 9). Die Hoffnung auf ein Wiedersehen nach dem Tod ist unterschwellig vorhanden und kann in der Phase, in der man nach dem Verlust eines geliebten Menschen wieder aktiv am Leben teilnimmt, ein wesentlicher Faktor sein. Nach einem Nachtodkontakt beginnen die Empfänger oft, ihre Weltanschauung in Frage zu stellen und die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Julie Starr Parker hat 2004 an der Saybrook Graduate School and Research Center in San Francisco, Kalifornien, eine Doktorarbeit mit dem Titel „Nachtodkontakte und adaptive Trauerauflösung“ verfasst (Parker, 2004). Die Doktorandin wählte einen qualitativen Ansatz, um die Auswirkungen festzulegen, welche die ADCs auf den Trauerprozess von 12 Personen hatten. Die Studie zeigt, dass trotz andauernder Trauerarbeit und komplexer Trauerumstände 11 der 12 Befragten in Folge der ADCs positive Veränderungen zeigten wie zum Beispiel die persönliche und/oder spirituelle Entwicklung (Merkmale, die als Kriterium für die „adaptive Trauerauflösung“ galten). Parker stellt fest, dass für jene Menschen, für die der Trauerprozess zu einer adaptiven Trauerauflösung führte, die ADCs eine wichtige Rolle gespielt und spezifischen Bedürfnissen im Rahmen der Trauerarbeit entsprochen haben (bei einigen auch in anderen, von der Trauer unabhängigen Bereichen). Parker kommt zu dem Schluss, dass bei diesen 12 TeilnehmerInnen die ADCs nicht Zeichen einer psychischen Erkrankung, sondern Teil einer normalen menschlichen Erfahrung waren. Für alle Personen (mit einer Ausnahme) waren die ADCs ein natürlicher Bestandteil des Kummers und/oder der Trauerarbeit, und sie erleichterten es ihnen, den Tod des geliebten Menschen zu akzeptieren, oder sie ermöglichten es ihnen zumindest, sich auf die neue Situation einzustellen.

Weitere Untersuchungen, insbesondere in Bezug auf die Trauerverarbeitung, wurden unternommen.

Stanley Krippner, Professor für Psychologie an der Saybrook Graduate School and Research Center in San Francisco, hat die Literatur zum Thema ADCs von 1894 bis 2005 durchforstet und kommt zu dem Schluss, dass sich diese Erfahrungen positiv auf die Betroffenen auswirken. Er stellt fest, dass die Depressionen, welche die Trauernden beeinträchtigten, allmählich verschwanden, wenn sie die Gewissheit erlangten, dass der Verstorbene keineswegs leidet, sondern dass er, ganz im Gegenteil, glücklich ist. In anderen Fällen von Nachtodkontakten konnten Konflikte, die noch bestanden, als der geliebte Mensch starb, gelöst werden. Krippner kommt zu dem Schluss, dass „Nachtodkontakte ganz klar einen therapeutischen Charakter haben“ (Storm, Thalbourne, 2006).

Ruth Davies, Dozentin für Pädiatrie an der School of Health Science der Universität Wales, Swansea in Großbritannien, hat auf der Basis der relevanten Fachliteratur aus dem Zeitraum von 1916 bis 2003 die Verhaltensänderungen von Eltern in Großbritannien und den USA untersucht, die ein Kind verloren haben (Davies, 2004). Die Literaturanalyse ergibt grundlegende Unterschiede zwischen den traditionellen und den neuen Modellen der Trauerarbeit. Die neuen Modelle stellen die Richtigkeit des früher vorherrschenden Postulats in Frage, demzufolge die Auflösung der Trauer erfolgt, indem man sich vom geliebten Verstorbenen emotional löst und die Verbindung zu ihm „abbricht“. Der Begriff Trauerarbeit nach Freud steht ganz im Zeichen der alten Modelle. Im psychoanalytischen Ansatz zielte die Therapie mit Trauernden auf den bewussten Ausdruck der Gefühle und die Konfrontation mit der Realität des Verlustes ab. Nach Lindemann war das Ziel dieses Ansatzes „die Emanzipation von der Bindung an den Verstorbenen, die Anpassung ans Umfeld, in der der Verstorbene fehlt, sowie das Eingehen neuer Beziehungen“ (Lindemann, 1944). Die Rolle der Psychotherapeuten in den neuen Modellen besteht nun nicht mehr darin, dem Trauernden dabei zu helfen, die innere Verbindung zu dem Verstorbenen abzubrechen, sondern, ganz im Gegenteil, einen geeigneten Platz dafür in seiner Gefühlswelt zu finden. Die neuen Modelle basieren auf der Tatsache, dass insbesondere Eltern eine innere Verbindung zu ihren verstorbenen Kindern aufrechterhalten.

In einer phänomenologischen Studie mit 80 trauernden Müttern unterstreicht Kay Talbot, Trauerberaterin in Vallejo, Kalifornien, dass die Erinnerung und die Aufrechterhaltung der inneren Verbindung zu dem verstorbenen Kind einen tröstlichen Faktor darstellen (Talbot, 2002).

Diese Aufrechterhaltung kann erfolgen, indem man mit seinem Umfeld oder in Selbsthilfegruppen für trauernde Eltern über das verstorbene Kind spricht, mit Hilfe von materiellen Erinnerungen (Fotos, Gegenstände, etc.) oder durch innere Gespräche mit dem Kind.

Es ist erwiesen, dass Eltern das Bedürfnis haben, über ihr verstorbenes Kind zu sprechen und dass es weiterhin einen Einfluss auf ihr Leben ausübt. Ethan R. Benore, Direktor des Pediatric Psychology Fellowship Program an der Bowling Green State University, und Crystal L. Park, assoziierte Professorin für Psychologie an der Universität Connecticut, betonen den Willen der Trauernden, die Erinnerungen an den Verstorbenen aufrechtzuerhalten, um ihn fest in ihrem Leben zu verankern. Sie bezeichnen die Bande, welche die Lebenden mit den Verstorbenen vereinen, als „fortdauernde Verbindung“. Der weit verbreitete Glaube an eine buchstäbliche Fortdauer der Beziehung zu einem Verstorbenen wurde von der wissenschaftlichen Forschung vernachlässigt. Die Forscher argumentieren, dass sich der Glaube an eine buchstäblich fortdauernde Beziehung, die eine dauerhafte und auf Gegenseitigkeit beruhende Verbindung widerspiegelt, qualitativ stark von symbolischen Bekundungen der Verbundenheit unterscheidet, welche sich zum Beispiel in Form eines „Verbundenseins“ durch die Natur oder den Eindruck äußern, dass der Geist des Verstorbenen „irgendwo hier“ ist (Benore, Park, 2004, S. 10).

In Bezug auf den Trauerprozess argumentiert LaGrand, dass Nachtodkontakte ideal dazu sind, diese Prozesse zu beeinflussen:

„Ohne sich darauf zu beschränken, machen sie es möglich, eine neue Identität zu entwickeln, eine neue Beziehung zu dem Verstorbenen aufzubauen und daraus eine emotionale Kraft zu schöpfen, die dann in neue Lebensziele investiert werden kann. Das bedeutet überhaupt nicht, dass man sich emotional komplett vom Verstorbenen löst. Ganz im Gegenteil, das Aufbauen einer neuen Beziehung zu dem Verstorbenen ist gesund und basiert auf Erinnerungen, Traditionen und auf allem, was man in dieser Beziehung zu Lebzeiten des geliebten Menschen gelernt hat. Im Übrigen ist das Aufbauen einer neuen Beziehung jenes Instrument, das es ermöglicht, Werte zu beurteilen, sich auf die körperliche Abwesenheit des Verstorbenen einzustellen, Trost zu finden und im Ableben des geliebten Menschen einen Sinn zu erkennen“ (LaGrand, 2005, S. 14-15).

Benore und Park stellen einen Zusammenhang zwischen dem Glauben an ein Leben nach dem Tod und der fortdauernden Verbindung zu der verstorbenen Person her. Die Kombination dieser beiden Prinzipien ermöglicht es den Trauernden, die diese Sichtweise vertreten, den Tod nicht mehr als jähes Ende zu betrachten, sondern ihn vielmehr als eine notwendige Anpassung an die neue - andere, aber beständige - Daseinsform des Verstorbenen zu sehen und als Anpassung „an die folgende fortdauernde Verbindung“, die möglich ist. Sie fügen hinzu, dass „die Zeit der Trauer die Gelegenheit bietet, durch diese Erfahrung zu wachsen, indem sie den Überlebenden stärker und entschlossener macht und ihn besser darauf vorbereitet, den unvermeidlichen Verlusten, die man im Laufe seines Lebens erleidet, die Stirn zu bieten“ (Benore, Park, 2004, S. 15).

Der Wunsch, ja sogar die emotionale Notwendigkeit für alle Trauernden, langfristig eine Verbindung zu dem Verstorbenen aufrechtzuerhalten, wird in den neuen Modellen nicht mehr als unmögliches und krankhaftes Bestreben betrachtet. Ebenso werden die Phänomene in Zusammenhang mit dem Tod nicht mehr zwangsläufig als irrational und halluzinationsartig abgewertet, noch als der Trauerarbeit abträglich angesehen. Walter schreibt diese Haltungsänderung unter anderem der zunehmenden Laizität zu, die impliziert, dass das einstige protestantische Verbot, mit den Toten zu sprechen, nicht mehr dieselbe Wirkung auf die Menschen hat. Außerdem konnte sich die Öffentlichkeit mit anderen Kulturen und anderen bedeutenden Religionen vertraut machen, in denen der Kontakt mit den Toten nach altem Brauch aufrechterhalten wird (Walter, 1999). Davies kommt zu dem Schluss, dass in den neuen Modellen der Trauerarbeit das Hauptaugenmerk auf die zwischen den Menschen bestehende Verbindung gelegt wird,auf die Bande, die sie und ihre verstorbenen Verwandten und Bezugspersonen miteinander vereinen, und auf die Beziehung, die weiterhin zwischen ihnen besteht. Die gesellschaftliche Entwicklung zugunsten einer besseren Akzeptanz der Aufrechterhaltung der inneren Verbindung zu den Verstorbenen wird es den Menschen, die Nachtodkontakte erleben, wahrscheinlich ermöglichen, leichter und offener über ihre Erfahrungen zu sprechen.

Umso öfter und umso selbstverständlicher von Nachtodkontakten berichtet werden wird, desto mehr sollte die Angst der Betroffenen, sich lächerlich zu machen oder für psychisch krank gehalten zu werden, abnehmen, ja sogar ganz verschwinden.

 

MIT NACHTODKONTAKTEN VERBUNDENE RISIKEN

Einen Nachtodkontakt zu erleben, stellt eine Chance und einen sicheren Trost in einer Phase der intensiven Traurigkeit und der Verwirrung dar. Für jene, die einen solchen Kontakt als letztes Abschiedsgeschenk des geliebten Menschen erachten, das ihnen dabei hilft, ihren Weg weiterzugehen, kann das Erlebnis als positiv und der Trauerarbeit zuträglich betrachtet werden. Bedenklich wird es erst, wenn sich der Empfänger sehnlichst wünscht, dass sich der Kontakt so oft wie möglich wiederholt, wenn er seinen Alltag vernachlässigt, weil er auf ein Zeichen vom Verstorbenen wartet, wenn die Trauerarbeit durch das Warten auf eine neue Botschaft ins Stocken gerät, denn dann verstärkt ein Nachtodkontakt das Unvermögen des Trauernden, die Realität des Verlustes des geliebten Menschen anzuerkennen, und das ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Trauerauflösung.

Der Empfänger kann sich in der Illusion verlieren, dass die verstorbene Bezugsperson ständig an seiner Seite ist, bereit, jederzeit zu erscheinen. In diesen Fällen besteht eine reale Gefahr, dass sich eine schädliche Abhängigkeit entwickelt, die zu krankhaften Störungen führen kann.

Keinen Nachtodkontakt zu erleben, kann für jene Trauernden, die verzweifelt auf ein Zeichen warten, das jedoch ausbleibt, ein erhöhtes Risiko darstellen. Fälle ungeklärter Selbstmorde, insbesondere von jungen Menschen, können die Hinterbliebenen in einen Abgrund von Fragen und Schuldgefühlen stürzen. Die Versuchung, alles zu tun, um einen Kontakt herbeizuführen, ist groß und kann zur Obsession werden. Für diese Menschen ist das Zurückgreifen auf ein Medium oft der einzige Hoffnungsschimmer, aber LaGrand warnt vor der Gefahr jeglicher Abhängigkeiten, die mit einer solchen Vorgehensweise verbunden sein können16

 

THERAPEUTISCHE BEGLEITUNG

Trauer ist ein komplexer Prozess, und eine gesunde Trauerauflösung hängt von zahlreichen Faktoren ab, die sowohl mit dem Trauernden und der Beziehung, die er mit dem Verstorbenen unterhielt, als auch mit den Todesumständen zusammenhängen. Die Fachliteratur zu diesem Thema ist zwar umfangreich, aber es gibt nahezu keine Veröffentlichungen, die von Trauerarbeit und ADCs handeln. Benore und Park machen darauf aufmerksam, dass der Bekanntheitsgrad von Nachtodkontakten zeigt, wie groß das Interesse der Öffentlichkeit an diesen Phänomenen ist, die von vielen für real gehalten werden, obwohl sie derzeit wissenschaftlich nicht überprüft werden können. Leider, so fahren sie fort, verabsäumen die Psychologen es im Allgemeinen, diese Phänomene als phänomenologische Realität anzuerkennen oder als Realität, die viele Menschen wahrnehmen; sie untersuchen den Trauerprozess, ohne diesen wesentlichen Aspekt der Trauer zu berücksichtigen, die jene Menschen erleben, mit denen sie sich in ihren Untersuchungen beschäftigen (Benore, Park, 2004, S. 6).

Nachtodkontakte sind subjektive Erfahrungen. Der aktuelle Stand der Forschung erlaubt es weder, die objektive Realität dieser Erfahrungen zu beweisen noch sie zu widerlegen, aber das ist auch nicht die Intention der therapeutischen Begleitung. Wie bei jeder außergewöhnlichen Erfahrung ist es nicht Aufgabe der Therapeuten, sich über die Echtheit dieser Phänomene zu äußern. Die große Bandbreite der ADCs reicht von der Erscheinung eines Verstorbenen, der plötzlich vor dem erstaunten Empfänger mit einem richtigen Körper auftaucht und ein Gespräch mit ihm beginnt, über alle möglichen Abstufungen bis hin zu einer Begegnung im Schlaf.

Die Trauerarbeit impliziert und erfordert ein konstantes Wiederaufleben der Erinnerungen, einen inneren Dialog, eine geheime Auseinandersetzung, ja sogar „invasive“ Gedanken. Die Gesamtheit dieses „Sich-Erinnerns“, das zuweilen mit Glücksgefühlen, aber auch mit schmerzhaften Empfindungen verbunden ist, ist das Los jener, die einen Verwandten oder eine andere Bezugsperson verloren haben, und stellt die ersten Schritte auf dem Weg einer erfolgreichen Trauerauflösung dar. Die ADCs fügen sich in diesen langen und komplexen Prozess ein, und nur die Empfänger sind dazu in der Lage, ihnen den gerechten Platz zuzuweisen und ihnen ihre tatsächliche Bedeutung zuteil werden zu lassen.

Infolgedessen wird die Aufgabe der Therapeuten darin bestehen, sich mit den Auswirkungen zu beschäftigen, die diese Erfahrungen auf die Menschen haben, die sie erlebt haben, und sie vorteilhaft in die Therapie zu integrieren. Was auch immer die Ursache der Nachtodkontakte ist, sie stellen einen mächtigen und wirkungsvollen Faktor für die Heilung dar.

So soll der Therapeut dem Trauernden auf aktive, offene, empathische Weise und ohne zu urteilen, Gehör schenken, wodurch es dem Trauernden möglich ist, sich sicher zu fühlen, während er über seine Erfahrung spricht. Von einer ADC zu erzählen, ist nicht leicht. Einige Empfänger befürchten, sich lächerlich zu machen, andere haben Angst davor, nicht ernst genommen zu werden. Der persönliche und emotionale Charakter der Nachtodkontakte bringt sie dazu, ihr Erlebnis nur dann zu schildern, wenn sie das Gefühl haben, dass sie dem Therapeuten vertrauen können und sich in seiner Gegenwart sicher fühlen. Solche Berichte werden also nicht unbedingt Gegenstand der ersten Sitzung sein.

Im Regelfall erzählen Frauen eher von ihren Nachtodkontakten als Männer. Die Aufgabe des Therapeuten besteht zunächst darin, den Empfänger wissen zu lassen, dass es sich bei ADCs um ein normales, alltägliches und nicht pathologisches Ereignis handelt.

Die Empfänger brauchen eine Bestätigung, das ist die Bedingung für die Verwendung im Rahmen der therapeutischen Arbeit. Im Hinblick auf die Empfänger fügt LaGrand hinzu:

„Es ist ihre Trauer, ihre Erfahrung, ihre Auslegung – und was am wichtigsten ist – ihr Glaube, nicht der Unsrige. Schließlich müssen sie, und nur sie, ihre Trauer verarbeiten“ (LaGrand, 2005, S. 14).

Das Integrieren des Nachtodkontaktes soll im allgemeineren Rahmen der Trauerarbeit erfolgen, die ein komplexer Prozess mit vielen Facetten ist. Informationen über den Trauerprozess im Allgemeinen und über Nachtodkontakte im Besonderen werden dem Empfänger dabei helfen, seine persönliche Erfahrung aus einer umfassenderen Perspektive zu betrachten.

LaGrand führt vier Voraussetzungen an, damit das Potenzial für Veränderungen, das Nachtodkontakte aufweisen, in einem therapeutischen Rahmen genutzt werden kann:

- eine umfassende Kenntnis des Phänomens

- eine Routineuntersuchung

- Validierungstechniken und

- Kenntnis des Glaubenssystems des Empfängers:

„Es ist unerlässlich, das Wesen des Phänomens, insbesondere die verschiedenen Formen der ADCs, zu verstehen, die Botschaften, welche die Trauernden glauben, erhalten zu haben, ihre Bedeutung für den Hinterbliebenen und ihr Potenzial, um einen Verlust oder eine Veränderung zu verarbeiten“ (LaGrand, 2005, S. 13).

Der Therapeut soll mit dem Empfänger analysieren, welche Bedeutung er dieser Erfahrung beimisst. Basierend auf seiner langjährigen Erfahrung stellt LaGrand fest, dass die Empfänger in 1% der Fälle das dringende Bedürfnis verspüren, ihrem Leben ein Ende zu bereiten, um mit dem Verstorbenen wieder vereint zu sein - eine pathologische Reaktion, die eine äußerst sorgfältige psychologische Betreuung erfordert. In 99% der Fälle jedoch sind die Empfänger durch diese Kontakte weder verängstigt noch beeinträchtigt, sondern ziehen daraus einen beträchtlichen Nutzen17. Eine neue Auffassung vom Tod kann ein entscheidendes Element für die Trauerarbeit sein.

Der therapeutische Nutzen der Nachtodkontakte ist enorm. LaGrand bemerkt, dass „es für einen Verlust, welcher Art er auch sein mag, normalerweise unmöglich ist, dass eine Erfahrung – und zwar eine einzige – mit einem Mal all diesen Kummer beseitigt18“. Aber genau das beobachtet er im Rahmen der Nachtodkontakte.

Es scheint vernünftig zu sein, eine Sache anhand ihrer Auswirkungen zu beurteilen. Solange die erhaltene Botschaft positiv und liebevoll ist, solange ihre Auswirkungen tröstlich sind und dabei helfen, die Wunden der Trauer zu heilen, solange die Kontakte als Geschenk in Form einer letzten Verabschiedung angenommen werden und nach ihnen nicht beharrlich, unnachgiebig und verbissen gesucht wird, so lange all dies gegeben ist, besteht überhaupt kein therapeutisches Interesse daran, diese subjektiven Erfahrungen in Frage zu stellen oder die Menschen davor zu warnen.

Da es sich um eine sehr persönliche und subtile Erfahrung handelt, die in einer Phase erfolgt, in welcher der Empfänger durch die Trauer besonders empfindsam ist, kann eine skeptische, ja gar feindselige Reaktion auf seine Schilderung sein seelisches Gleichgewicht stören. Deshalb ist von Seiten des Therapeuten größte Vorsicht geboten, und der Wiedergabe des Gehörten mit eigenen Worten ist der Vorzug zu geben, statt eine persönliche Meinung zu äußern.

Symbolische ADCs werden am schnellsten angezweifelt und von außen stehenden Gesprächspartnern als einfache Zufälle abgetan. Dennoch ist es richtig, dass die Gefahr einer Überinterpretation vonseiten des Empfängers nicht auszuschließen ist. Wenn der Trauernde jede vorbeiziehende Wolke als Zeichen vom Verstorbenen auslegt, ist eine gewisse Wachsamkeit angebracht.

Man muss vorsichtig sein und darauf achten, dass man nicht von einem völligen Negieren von Verbindungen, die zwischen den Lebenden und den Toten fortbestehen können, dazu übergeht, dieses Phänomen über Gebühr in den Mittelpunkt zu stellen. Die Forschung deutet darauf hin, dass sich ADCs in den meisten Fällen nur einmal ereignen. Angesichts dieser Tatsache erscheint es uns heikel, ja sogar übertrieben, von einer buchstäblich fortdauernden Verbindung zu sprechen, um es mit Benores und Parks Worten auszudrücken (Benore, Park, 2004, S. 15).

Es scheint uns, dass diese Art der Auslegung von ADCs dem Inhalt der Botschaften nicht ausreichend Rechnung trägt, welcher sehr vereinfacht folgendermaßen zusammengefasst werden kann: Es geht mir gut, ich liebe dich, sei nicht traurig, lebe dein Leben weiter, ergänzt durch eine große Bandbreite speziell an den Empfänger gerichteter Worte. Diese Botschaften ähneln mehr einem letzten Abschied als der Aufnahme einer fortdauernden Verbindung.

Die gleichzeitig schwierige und edle Aufgabe des Therapeuten besteht darin, dem Trauernden dabei zu helfen, dem Nachtodkontakt, den er erlebt hat, seine wahre Bedeutung zuteil werden zu lassen, während er ihn aus einer Perspektive betrachtet, die es ihm erlaubt, jeden möglichen Nutzen und Trost daraus zu ziehen, aber ohne ihn daran zu hindern, seine Trauer zu verarbeiten und seinen Weg weiterzugehen.

Wie LaGrand und andere Forscher es mit Nachdruck hervorgehoben haben, ist eine Ausbildung der Therapeuten hinsichtlich der Phänomenologie, den Auswirkungen und des therapeutischen Potenzials von Nachtodkontakten wesentlich. Sind sie einmal entsprechend ausgebildet, werden sie eine wichtige Rolle in der Anleitung und der Begleitung von Trauernden im Bereich Nachtodkontakte spielen.

 

Übersetzung aus dem Französischen:

Claudia Teubel, Wien

 

 


Fußnoten:

1 http://www.after-death.com

2 Fontana D. (2003) in ParaDocs, http://www.paranet.fi/paradocs/tutkimuksia.html

3 http://www.adcrf.org/brief_overview_adc.htm

4 http://www.adcrf.org/ADC%20Overview.htm

5 http://www.adcrf.org/index2.htm

6 http://www.adcrf.org/adcrf_research.htm

7 http://www.adcrf.org/index2.htm

8 http://www.adcrf.org/adcrf_research.htm

9 http://www.adcrf.org/adcrf_research.htm

10 http://www.adcrf.org/adcrf_research.htm

11 http://www.adcrf.org/ADC%20Overview.htm

12 Gespräch vom 12. Januar 2008 mit Stéphane Allix und Paul Bernstein für INREES (Institut de Recherche sur les Expériences Extraordinaires = Forschungsinstitut für Außergewöhnliche Erfahrungen in Frankreich)

13 http://www.prevention.ch/lepreuvedudeuil.htm

14 http://www.adcrf.org/adcrf_research.htm

15 Gespräch vom 12. Januar 2008 mit Stéphane Allix und Paul Bernstein für INREES (Nationales Forschungsinstitut für Außergewöhnliche Erfahrungen in Frankreich).

16 Ebenda

17 Ebenda

18 Ebenda

 

Literatur / Bibliographie

 

Evelyn Elsaesser-ValarinoDiese Website wurde in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Nahtod-Erfahrung erstellt.

 

 


 

 

Evelyn Elsaesser-Valarino hat Nahtoderfahrungen und Nachtod-Kontakte erforscht