Nach dem Tod

Induced After Death Communication (IADC) nach Dr. Allan Botkin

Ein persönlicher Erfahrungsbericht

Dorothea Stockmar, 13.Dezember 2010


Durch Vermittlung von Diplom-Psychologin Juliane Grodhues (Fachgebiet Traumatherapie) hatte ich die Gelegenheit, die von Dr. Allan Botkin vorgestellte Traumatherapiemethode (IADC) während eines Seminars des Milton Erickson Instituts persönlich kennen zu lernen.

Für mich war diese auf der EMDR Methode aufbauende Behandlungsform im Sinne einer konstruktiven Trauerbewältigung von großer Bedeutung. Zum einen auf Grund meiner jahrelangen Tätigkeit als Trauerbegleiterin und zum andern, da ich vor nicht all zu langer Zeit selbst auf tragische Weise ein Kind verloren hatte.

Von dieser zur Behandlung von Traumata entwickelten therapeutischen Methode erhoffte ich mir Deutungsmöglichkeiten für mein nächtliches Schreiben. Fast wie ferngesteuert habe ich in jener Zeit Nacht für Nacht den Kontakt zu meinem geliebten verstorbenen Kind in Briefform aufgenommen, so dass in Windeseile ein Dokument entstand, das einer woher auch immer induzierten Nachtodkommunikation entsprach und später im Rahmen eines Seminars unter dem Titel NOCH IMMER SUCH ICH DICH als szenische Darstellung in 4 Akten aufgeführt wurde.

Was hatte mich dazu geführt, all diese Briefe, wie Botschaften einer anderen Welt, in der Dunkelheit meiner Trauer niederzuschreiben? Wie eine Welle vom anderen Ufer wurde ich von Gedanken und Gefühlen überschwemmt, die mir verdeutlichten, dass es meinem Kind dort in dem anderen LICHT gut geht. Das half, das tat unendlich gut, in eigenen Worten gespiegelt zu finden, was ich so nie auszusprechen gewagt hätte: Mein Kind du lebst: Was bleibt mir denn, als nur zu glauben, dass du es bist, der noch in tiefem Schweigen ganz deutlich zu mir spricht, vergiss mein nicht.

Ja, die Toten haben einen Platz unter den Lebenden! Aber was war mit mir, mit meiner Trauer? War ich überhaupt schon in der Lage, diese anzusehen, und mit ihr all die verletzenden Gefühle? Wie damals, als die Kriminalpolizisten für mich vollkommen unvermittelt in unserem Türrahmen standen und die Worte sagten: "Sie haben einen toten Sohn!" Ich kann mich noch ganz genau an das Gefühl von Ohnmacht erinnern. Es war, als ob man mir alle Organe einzeln, bei lebendigem Leibe, aus dem Körper risse und der Boden unter mir zu wanken begänne, denn es gab keinen Grund mehr, der mich hätte tragen können.

Plötzlich war es mir sonnenklar. Ja, mit diesem bodenlosen, jeglichen Halt vermissenden Gefühl der Trauer wollte ich in die Therapieeinheit des Seminars von Dr. Allan Botkin gehen, mich noch einmal dem Trauma stellen, ganz egal, was dabei herauskommen würde. Schlimmer konnte es nicht werden. Fühlte ich mich doch meinem Kind wie nachgestorben.

WORKSHOP

Ich hatte großes Glück, denn in meinem Workshop hatten sich neben einer Co-Therapeutin gleich zwei Therapeuten eingefunden, die EMDR, die beide Hirnhälften verbindende Augenbewegungen, anleiteten. Ich wurde zunächst gebeten, den für mich schrecklichtsten Moment der Trauer zu visualisieren. Auf Englisch heißt es "worst first". Ich wählte den Augenblick der Todesüberbringung, als der Pastor und die Kriminalbeamten vor der Tür standen, und erzählte, was sich ereignet hatte (nachzulesen in meinem Buch "Ein Netz, das trägt", Santiago-Verlag 2010, in dem Kapitel Erster Rückblick).

Beim nochmaligen Erzählen der Ereignisse, die das Leben unserer fünfköpfigen Familie vollkommen aus der Bahn geworfen hatten, wurde mir noch einmal vor Augen geführt, was sich damals auf körperlicher und seelischer Ebene abgespielt hatte. Begleitet von einer Flut aus Tränen sank ich mehr und mehr auf meinem Stuhl zusammen. Es war ein Gefühl, als drücke mich eine unwiderstehliche Kraft mit aller Macht in die Erde und ich müsse in Grund und Boden versinken.

Dort, wo ich mein Kind zum ersten Mal spüren durfte (unter meinem Herzen), war der Schmerz auch am größten, so, als wäre mein Sohn durch mich durch gestorben. Ich hätte die Hände dafür ins Feuer gelegt, dass sich das Wort tot steigern ließe (von tot zu toter bis am totesten). Wie fühlt man sich als Tote und dann noch mit einem toten Kind? Seit wann können Tote fühlen? Dass ich in so einem Zustand überhaupt noch etwas fühlen konnte, wunderte mich sehr. Das würde ja bedeuten, dass Tote ein Bewusstsein haben. Ich jedenfalls hatte es, ein Bewusstsein von Nichtexistenz und gleichzeitigem nicht auflösbarem Schmerz. Man könnte es auch als eine Form von Zerrissenheit beschreiben, zu dem der Wunsch gehörte, meinem Kind nachzusterben und es gleichzeitig wieder zurück ins Leben zu holen. In so einer traumatischen Situation gab es für mich keinen Ort, an dem ich hätte Halt finden können.

Da, wo der Schmerz ist, geht’s lang, hörte ich mich selber sagen, begleitet von dem Gedanken, alles zuzulassen, damit die Trauer nicht im Kopf bleibt. Über wie viele EMDR Einheiten hinweg dieser Schmerz anhielt, kann ich nicht sagen, ich weiß nur noch, dass ich nicht schlecht staunte, als ich nach einer längeren Ruhephase meine Augen aufschlug und einen Berg von abgenutzten Taschentüchern vor mir liegen sah.

Ich denke, dass die Trauer auch zu IADC gehört, denn was sich dann ereignete, wäre ohne die Fließkraft der Tränen nicht so leicht in Gang gekommen. Für mich noch immer unfassbar ("out of the blue", wie Dr. Allan Botkin es nannte) geschah folgendes: Vollkommen unvermittelt erhob ich mich und kam zum Stehen, und nicht nur das, ich stand mit einer Festigkeit, wie ich es in meiner Situation nie für möglich gehalten hätte. Ich weiß noch genau, dass ich zum Therapeuten sagte, er könne jetzt ruhig nach Hause gehen, denn in dieser Position hätte ich so viel Halt gefunden, dass mich keine zehn Pferde fortbewegen könnten. Ich weiß auch noch was ich dabei fühlte. Es war zunächst ein eher soldatisches Gefühl (fühlte sich nach Front - irgendwo in Sibirien - an). Jedenfalls stelle ich mir so einen Wachposten in der Weite Sibiriens vor. Diese Haltung hatte sicherlich auch etwas mit meiner Erstarrung in der Trauer zu tun, und ich dachte an meinen anfänglichen Schock, den diese Haltung widerspiegelte.

Es war mir einfach nicht möglich, meine Position zu verändern, geschweige denn, mich hinzusetzen (als ob mich etwas ein und für alle Mal aufgerichtet hätte). Ich bekam schon Mitleid mit den Therapeuten, die sich zur Ausübung der EMDR-Bewegungen gleichfalls hinstellen mussten. Aus einem Augenwinkel heraus hatte ich bereits wahrgenommen, wie sie schon von einem Bein auf das andere traten (schließlich gehört das lange Stehen nicht unbedingt zur IADC-Methode), während ich felsenfest und unumstößlich mit geöffneten Handflächen dastand, als wollte ich etwas in Empfang nehmen. Ja, ich empfing etwas. Mit geschlossenen Augen nahm ich es an. Es war nichts Materielles. Es fühlte sich warm und leicht an. Mir kam es vor wie Licht, ein Licht, das durch mich durch floss. Ich nahm es als Lichtsäule wahr, die meine Wirbelsäule vom Scheitel bis zu Sohle durchflutete. Wie aufgeladen empfand ich mich, als wäre ich in aller Leichtigkeit erstarkt.

Dann hörte ich mit einem Mal eine Stimme, die sagte: "Mama, ich will doch nur, dass es Dir gut geht." Natürlich schrieb ich diese Stimme meinem Sohn zu (wer sollte mich denn sonst in solch einer Situation mit Mama ansprechen?) Und wann immer ich diese IADC Begegnung in mein Gedächtnis zurückrufe, wird mir ganz warm ums Herz, denn ich durfte erspüren, wie es sich anfühlt, auf tragendem Grund zu stehen.

Aus dieser Haltung heraus würde ich heute dem Pastor und dem Kriminalbeamten, stünden sie noch einmal vor meiner Tür, ganz anders entgegentreten. Auf meine eindringliche Bitte, mich zu meinem toten Sohn zu lassen, würde ich mich nicht mehr mit den Worten „das geht nicht“ abspeisen lassen.

"Es geht doch!" Denn wann immer ich mich auf diese durch die IADC Methode induzierte Nähe einlasse, kann ich meinem Kind nah sein, wenn auch in einem andern LICHT.